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Kultur: Gipfelmützen

„Art goes Heiligendamm“: Wie Adrienne Goehler und ihre Künstler in Rostock Stellung beziehen

Eine künstlerische Intervention soll stattfinden, hier in der alten Schiffswerft mit den weißen Mauern und dem braunen Gebälk. Drei Männer spannen eine Zeltplane, „Hey ho!“, rufen sie, im stetigen Rhythmus, und schon bläht sich das Tuch über ihnen auf, blau-weiß wie das Oktoberfest. Der gesellschaftliche Resonanzraum von Kunst soll erweitert werden, hier im Rahmen von „Art goes Heiligendamm“, dem Kunstprojekt zur Weltpolitik. Unter der munter flatternden Plane öffnet einer der Männer zunächst einmal ein Bier.

Intervenieren – im Wortsinn heißt das „dazwischen kommen“. Ein Unterfangen, das dem Projekt, das heute Vernissage hat, schwerfallen muss, allein schon räumlich gesehen: Während die Politiker in Heiligendamm tagen, haben sich die Künstler in der stillgelegten Werft am Rostocker Stadthafen eingerichtet – ein leerer Ort, den man zwar bespielen und füllen kann, aber beileibe keiner, an dem man zwischen die Fronten kommt, seine eigene Formen durch die Reibung mit den anderen schärfen und konturieren kann. Weit und breit kein Staatstross, keine Demonstranten – statt gellender Pfiffe nur Möwenkreischen.

Und vor allem: kein Zaun. Der ist dem künstlerischem Zugriff entzogen, und dabei liefert er ein so griffiges Bild für das, wogegen Adrienne Goehler, ehemalige Kultursenatorin Berlins und Kuratorin des Projekts, antritt. Statt Trennendem will sie „Verflüssigungen“, so der Titel ihres 2006 erschienenen Buches, die Kunst soll politische Fragen aufgreifen und selbst zum Movens werden.

Nur wie, wenn einen der Staat nicht ranlässt an das Feindsymbol, den echten, den großen Zaun? Dann baut man ihn einfach nach, so zumindest machen es zwei Künstler auf dem Werftgelände.

Dodi Reifenberg zum Beispiel. Der Israeli, der seit 1988 in Berlin lebt, steht vor einem Gerüst, ein paar Meter lang, reißt Plastiktüten auseinander und befestigt sie an der Absperrung. Ein Bauzaun mit zerfetzten Tütenresten – das ist eine Lesart. Man kann sie aber noch ideell aufladen. So weist Reifenberg auf die Farben der Tüten in seiner Installation Rag bags hin, gelb und rot sind sie, wie das Feuer – weil die Welt in Flammen steht. Und dann ist da noch die Tüte als solche – multifunktional einsetzbares Symbol, steht für Supermarktmentalität und Wegwerfgesellschaft, erinnert dazu noch an Obdachlose, die ihre wenigen Habseligkeiten in Tüten umhertragen – und bestimmt noch an etliches mehr, wenn man nur etwas nachdenkt.

Der zweite Kunst-Zaun entsteht etwa 50 Meter entfernt, am Wasser. Dort errichtet die Architektengruppe „Raumlabor Berlin“ das Silver Pearls Congresscenter & Spa, eine Miniaturversion des staatstragenden Settings in Heiligendamm, unter anderem mit einem Häuschen, welches das Hotel darstellen soll, in dem die Politiker logieren, und acht Golfabschlagplätzen. Umgeben wird das ganze von einem Zaun sein, „an dem man all das machen kann, was man am wirklichen nicht darf“, sagt der Architekt Benjamin Förster-Baldenius.

Ein bisschen klingt’s, als spielten Kinder Politik, weil sie eine Alternative brauchen zum ewigen Mau-Mau, vielleicht ist es aber auch nur Ausdruck des allgemeinen postmodernen Habitus, der vornehmlich mit ironisierenden Referenzen arbeitet. Mitunter scheint es aber auch schlichtweg an einer fundierten Haltung, einer wirklichen Überzeugung zu mangeln. Er sei politisch eine absolute Null, sagt Reifenberg vor seinem Feuerzaun. Ein paar Schritte weiter stellt die indonesische Künstlerin Arahmaiani große bunte Stoffballen in Form von arabischen Buchstaben aus. Sie wird nur ein paar Tage hier sein, dann fliegt sie weiter nach Japan und Indonesien. Sie sei ständig unterwegs, sagt sie. Vom G-8-Gipfel erwartet sie sich unter anderem sensible Umweltpolitik. Thobjoern Reuter Christiansen, bildender Künstler aus Dänemark, pendelt zwischen Kopenhagen und Berlin, an der Grenze hat er Flüchtlinge beobachtet, die zurückgeschickt wurden, so entstand seine Idee, eine Abschiebezelle nachzubauen. Eine echte hat er noch nie gesehen.

So eine Nachbildung einer Zelle, das kennt man, ebenso die satirische Aufbereitung von nicht genehmen Zuständen. Vielleicht liegt es daran, dass Goehlers Forderung nach einer Politisierung der Kunst auch nicht besonders neu ist. Vielleicht kann es auch einfach nicht funktionieren, dass globalisierte Künstler Kritik an der Begleiterscheinung der Globalisierung üben. Zumindest verspricht „Art goes Heiligendamm“ weder sonderlich aufwühlend noch bewegend zu werden. Ein wenig erinnert es an ein Maifest – das umkränzende Begleitprogramm zum ernsten Anliegen und tumber Gewalt. Eine Intervention?

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