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Gisela von Wysocki antwortet Sibylle Lewitscharoff: "Du machst, schwebend über Nachweis und Aufklärung, Dinge unkenntlich"

Eigentlich wollte die Berliner Autorin Gisela von Wysocki nichts zu den Äußerungen von Sibylle Lewitscharoff sagen. Doch nun konnte sie nicht mehr anders. In einem offenen Brief nimmt sie Stellung zur Frauenbewegung, „Halbwesen“ und Lewitscharoffs gebieterischem Sprung ins Dekret.

"Liebe Sibylle,

nachdem sich nun so viele Stimmen gegen Dich erhoben haben, hätte ich am liebsten den Schnabel gehalten. Aber Deine in Dresden, in Köln und in der „Zeit“ vorgetragenen Äußerungen über die Frauenbewegung in den siebziger und achtziger Jahren haben mich nun doch aus der Haltung der Beobachterin aufgescheucht. Durch Dein Beharren ist auf einmal das Thema für mich wieder aktuell geworden. Ich hatte es eigentlich nur noch im Hinblick auf die Spuren im Auge, die der damalige Furor in den Werken mir wichtiger Autorinnen hinterlassen hat; etwa bei Silvia Bovenschen, Elfriede Jelinek oder Christina von Braun.

Vor Jahren habe ich Dich einmal gefragt, ob du für die Neuausgabe meines Buches „Die Fröste der Freiheit“ ein Vorwort schreiben würdest; zu den Essays über Virginia Woolf, Marlene Dietrich, Greta Garbo etc. Nein, antwortetest Du sinngemäß, es würde für Dein Schreiben keinen Unterschied machen, ob Mann oder Frau. Deine Ansicht habe ich kommentarlos akzeptiert. Ich erwähne dies, weil ich mich nicht als Hüterin heiliger Kühe verstehe, weder bei unserem damaligen Gespräch, noch jetzt.

"Mir geht es vor allem um das Wie"

Mir geht es vor allem um das Wie, um die Art und Weise, in der Du Phänomene „abwickelst“ und Themen „verbrennst“. Du sprichst von einer der damaligen Frauenbewegung zugrunde liegenden „Tradition ... unsauberer Ahnenfiguren wie der Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink“, die, wie Du sicher weißt, dem „nationalsozialistischen Muttertum“ den Glanz „des Göttlichen“ zugesprochen hat. Dies nur am Rande. Mag ja sein, dass Du der Beschränktheit irgendwelcher deutschtümelnder Idiotinnen irgendwo begegnet bist. Man muss sie deshalb nicht kurzerhand in den Rang von Schlüsselfiguren erheben. Dein Modellieren und Meißeln an den Dingen arbeitet fürs Ressentiment. Vom „Schielen“ hat Nietzsche in diesem Zusammenhang gesprochen. Danach sieht sie in Deinen Augen dann auch aus, die Frauenbewegung des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts: ein historisch dubioses Erzeugnis verspäteter Nazi-Frauen.

Verwunderung auch über die, wie Du sagst, „in frauenbewegten Kreisen noch immer hochverehrte Leni Riefenstahl“. Der einzige Text, der Riefenstahl meiner Kenntnis nach damals in der Bundesrepublik ins Gespräch gebracht hat, ist ein Essay von mir, in dem ich die Abbilder ihrer besinnungslosen Anbetung männlicher Heldenkörper in der Komposition ihrer Filme analysierte. Dafür musste ich ins Bundesarchiv nach Koblenz fahren; die Filme wurden unter Verschluss gehalten. Eine doch recht ungünstige Bedingung für die Erschaffung einer Kultfigur.

"Ich will Dir die Privatsammlung Deiner Eindrücke nicht streitig machen"

Es hat damals, wie Du es in Deiner Büchnerpreisrede ausdrückst, bestimmt jede Menge von „Verrücktheiten“ der Frauen gegeben. Kunststück!, sie trauten sich, in Frankreich, Italien, Österreich oder in den USA, den Kraftakt zu, ein paar Attrappen und Leerpackungen unter die Lupe zu nehmen, in denen sich ihre Geschichte verlief. Ich war als Studentin der Philosophie bei Adorno in Frankfurt gelandet, wo ich auch nach seinem Tod geblieben bin und Zugang zur feministischen Szene fand.

Sie hat auf ihre Weise seiner Philosophie des „Nicht- Identischen“, Widerständigen in Spuren einen Ausdruck gegeben. In Frankfurt begegnete ich lauter selbsternannten „Nomadinnen“, denen es im Wesentlichen um Denk-Eskapaden ging. Um kühne, komische und coole Lesarten des „Weiblichen“. Kleinfamiliär genormte weibliche „Soldaten“, wie Scholtz-Klink sie sich wünschte, hätten es dort höchstens zur komischen Figur gebracht.

Ich will Dir die Privatsammlung Deiner Eindrücke nicht streitig machen, nur ihren gebieterischen Sprung ins Dekret; den Gestus eines unentwegten Upgradings ins große Ganze. Er macht, schwebend über Nachweis und Aufklärung, Dinge unkenntlich. Und er kreiert suspekte oder angeblich gescheiterte Phänomene wie die nach künstlicher Befruchtung geborenen Kinder, denen Du die Analytikercouch prophezeist.

Ich habe für meinen Brief eine öffentliche Form gewählt, weil ich auch den jüngeren Zuhörern Deiner Ansagen meine Überlegungen mitteilen möchte. Gisela"

Gisela von Wysocki lebt als Autorin in Berlin. Zuletzt erschien von ihr „Wir machen Musik“ im Suhrkamp-Verlag.

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