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Liebesverrat. Polina Semionova und Marian Walter.

© Yan Revazov/Staatsballett

"Giselle" im Schillertheater: Eine übersinnliche Polina Seminova

Ganz ist sie Berlin nicht verloren. Polina Semionova kehrt regelmäßig zurück, um beim Staatsballett zu gastieren - wie jetzt in "Giselle" im Schillertheater.

Von Sandra Luzina

Sie ist einfach eine Klasse für sich – das beweist Polina Semionova jetzt gerade in „Giselle“ im Schillertheater. Das Staatsballett hat die 14 Jahre alte Choreografie von Patrice Bart wieder aus der Versenkung geholt, und die Star-Ballerina gastiert für zwei Vorstellungen bei ihrer früheren Compagnie. Giselle, ein Bauernmädchen, das an gebrochenem Herzen stirbt und fortan als schöne Untote im Kreis der „Wilis“ durch den nächtlichen Wald geistert – das ist eine Traumrolle für jede Ballerina. Denn das romantische Ballett erzählt von der Tanzleidenschaft und deren abgründigen Seiten.

Im ersten Akt muss man zwar viel Pantomime erdulden. Doch die unbändige Tanzlust des jungen Mädchens veranschaulicht die Russin aufs Schönste. Die Geschichte, die auf alten Sagen beruht, hat es in sich, sie ist prall gefüllt mit Liebe, Wahnsinn und Tod. Beim Dorffest verliebt sich Giselle in den feschen Fremden Loys, hinter dem sich Prinz Albrecht verbirgt – der aber leider schon einer Anderen versprochen ist. Als Giselle den Liebesverrat erkennt, verliert sie den Verstand und stirbt. Wie Polina Semionova die Wahnsinnsszene interpretiert, ist anrührend. Mit wirrem Blick und fahrigen Bewegungen taumelt sie über die Bühne und bricht schließlich zusammen.

Erst verzückt, dann entrückt: Wenn Semionova, in weißen Tüll gehüllt, im zweiten Akt aus dem Grab fährt, ist das ein fantastischer Effekt. Elena Pris verleiht Myrtha, der Königin des Wilis, eine funkelnde Kälte. Wenn die Wilis in Arabesken vorbeigleiten, entfaltet sich ein märchenhafter Zauber. Packend ist auch die Racheszene: wie die bleichen Bräute Hilarion (apart: Leonard Jakovina) anlocken und zu Tode tanzen.

Polina Seminove rückt auf zum strahlenden Mittelpunkt

Nur die zentrale Liebesgeschichte funktioniert leider überhaupt nicht, denn Marian Walter als Albrecht fehlt es an jeglicher Ausstrahlung. So rückt Polina Semionova auf zum strahlenden Mittelpunkt des Abends. Nicht nur ihre makellose Technik und die fast überirdisch anmutende Leichtigkeit lassen Beobachter erstaunen. Semionova verbindet auch die schöne Linie mit einer großen Gestaltungskraft und Musikalität. Sie beherrscht die Kunst der Nuancierung und meistert den Sprung vom Sinnlichen zum Übersinnlichen. Die Ballerina mutet selbst wie ein schönes Gespenst an: Zwei Vorstellungen – und schon ist sie wieder entschwunden.

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