zum Hauptinhalt

Kultur: Gitter, Geister, Grazie

Das Festival „Border Border Express“ im HAU zeigt Tanz aus Afrika

Von Sandra Luzina

Ein leises Schütteln des Kopfes, ein Zittern des Körpers, ein permanentes Ausweichen und Vorwagen – eine existenzielle Gefährdung ist den Bewegungen eingeschrieben. Die Tänzer – drei Männer und eine Frau – gehen rabiat aufeinander los. Wer einmal am Boden liegt, hat Mühe, wieder auf die Beine zu kommen. Jede Begegnung kann hier zum Zweikampf ausarten. Die kraftvollen Tänzer demonstrieren eine trotzige Selbstbehauptung, scheinen aber immer auf der Hut zu sein.

Mit Holzpfählen wird das Terrain immer neu markiert und begrenzt. Rhythmisch rammt das Quartett die Pflöcke in den Boden – in dem Willen, einen Abdruck, einen Existenzbeweis zu hinterlassen. Morgan Banguissa am Schlagzeug und an der E-Gitarre macht ordentlich Druck. Einer der Tänzer greift zum Mikro, stimmt einen wütenden Gesang an, verrenkt sich dabei wie ein Rockstar – bis es ihm die Sprache verschlägt. Hinter Gitterstäben findet er sich wieder, wie eingesperrt in einem Käfig.

Es ist das Trauma des Bürgerkriegs, das DeLaVallet Bidiefono und seine Compagnie Baninga aus Brazzaville (Republik Kongo) in ihrem Stück „Empreintes/On posera les mots après“ verarbeiten. Sie eröffnen damit das Festival „Border Border Express“, das bis zum 12. Juni Choreografen aus Burkina Faso, Kongo, Kenia und Südafrika zeigt. Die kompakte Bestandsaufnahme des zeitgenössischen afrikanischen Tanzes thematisiert zugleich den westlichen Blick auf den schwarzen Körper.

Die junge Generation, die den brutalen Bürgerkrieg erlebt hat, sucht nach ihrer Stimme – davon handelt das packende Eröffnungsstück. Wie selbstverständlich integriert Bidiefono genuin afrikanische Bewegungen in ein zeitgenössisches Idiom. Eine Wucht ist Ella Ganga – die Tänzerin zeigt den Jungs, was eine Harke ist. Sie agiert völlig gleichberechtigt und so erzählt „Empreintes“ auch eine Emanzipationgeschichte. Es wird in seiner Heimat nicht gern gesehen, dass Frauen tanzen, erklärt Bidiefono im Gespräch. Überhaupt, im Kongo zu arbeiten sei ein doppelter Kampf: Seine Compagnie ringt um das finanzielle Überleben. Außerdem muss sie sich gegen Anfeindungen seitens der Traditionalisten in der Regierung wehren, die den zeitgenössischen Tanz als „zweite Kolonisation“ bezeichnen.

Lauter couragierten Choreografen, die entschlossen ihren Weg gehen, kann man bei diesem Festival begegnen. Es sind vor allem Soloarbeiten, die der künstlerische Leiter Alex Moussa Sawadogo ausgewählt hat. Dabei spielt der Dialog mit dem Musiker auf der Bühne immer eine große Rolle. Von dem Kenianer Opiyo Okach, ein Pionier der zweiten Generation , stammt die Arbeit, die dem Festival ihren Titel gab. Mit „Border Border Express“ ist eigentlich der kleine Grenzverkehr zwischen Kenia und Uganda gemeint. Hunderte von Händlern transportieren dort jeden Tag ihre Waren auf Fahrrädern auf die andere Seite. Bei Okach wird daraus eine politische Metapher: Er wickelt sich rot-weißes Absperrband um Kopf und Körper – wird zum leibhaftigen Symbol der Ausgrenzung. Und macht dann noch gute Miene zum bösen Spiel, gibt den Tanzclown wie in einer Minstrel-Show.

Für „Dambë“ hat Salia Sanou Steine aus seinem Geburtsort Leguéma auf der Bühne des Hebbel-Theaters verteilt. Sanou, der 2006 zusammen mit Seydo Boro in Ouagadougou das erste choreografische Zentrum Afrikas gegründet hat, ist ein Tänzer mit einem wunderbaren Formgefühl. Anmutig balanciert er anfangs einen Stein auf dem Kopf. Und wirbelt viel Staub auf, wenn er sich zu Boden wirft. Erde klebt auf seiner Haut, die Heimat wird er nicht los. Beschwernis drückt ihn nieder, doch er fasst wieder neuen Mut. Angetrieben wird er dabei von der Stimme der Sängerin Maaté Keita, die mal sanft, mal resolut klingt.

Eine der radikalsten Arbeiten wird Nelisiwe Xaba aus Südafrika beisteuern. In „Sakhozi say non to the Venus/They look at me and that’s all they think“ greift sie die Geschichte von Sarah Baartman auf, die 1810 von einem englischen Schiffsarzt nach London gebracht und dort als sogenannte „Hottentotten-Venus“ zur Schau gestellt wurde. Xaba nimmt diese Begebenheit aus finsterer Kolonialzeit zum Ausgangspunkt, um über ihre eigenen Erfahrungen mit der eurozentrischen Kunstwelt und dem dazugehörigen exotisierenden Voyeurismus zu reflektieren.

HAU 1 und 2 bis 12. Juni

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false