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Kultur: Glamour vom Fließband

Er beschäftigt 50 Mitarbeiter, seine Arbeiten erzielen Höchstpreise auf Auktionen. Ein Besuch bei dem Berliner Künstler Anselm Reyle

Berlin: Kunststadt, Boomstadt. Galerien und Messen expandieren, Sammler, Künstler und Käufer aus aller Welt kommen in die Stadt. Doch was heißt das eigentlich für die Kunstproduktion? Unsere Sommerserie widmet sich den Künstlern und fragt sie danach, wie stark der Kunstmarkt ihre Arbeit beeinflusst.

Immer wieder dieser Gedanke: Das war es jetzt aber. Doch dann geht es noch eine Treppe hoch, eine Treppe runter, einmal ums Eck und weiter hintenrum, und der Hausherr präsentiert einen neuen Raum, eine neue Etage, eine neue Werkgruppe. Als das Hinterhaus durchforstet ist, geht es über den Hof ins Nachbargebäude. Weiter im Überwältigungsprogramm. Zweitausend Quadratmeter groß ist das Kreuzberger Atelier von Anselm Reyle, der hier, in der Nähe des Görlitzer Parks, seine Kunst nicht nur konzipiert und herstellt, sondern auch archiviert und dokumentiert. 50 Assistenten helfen ihm dabei. „Der Erfolg gibt mir die Möglichkeit, viele Ideen und aufwendigere Projekte umzusetzen“, sagt der Künstler, der seit zehn Jahren in Berlin arbeitet, Ausstellungen organisiert und selbst ausstellt. Anstatt sich Allüren zuzulegen sammelt er Quadratmeter und Mitarbeiter. Andy Warhol nannte sein Atelier „Factory“, doch an einen mittelständischen schwäbischen Betrieb hat er dabei sicher nicht gedacht. Wenn Reyle, der gebürtige Tübinger, durch die Räume führt, sieht man ihm die Freude an, das Behagen daran, wie eins ins andere greift. Den Spaß, den es macht, Klischees von der einsamen, leidenden Künstlerexistenz betriebsam abzubauen.

Handwerker gehen ein und aus und präsentieren, was das Atelier in Auftrag gegeben hat. In einem anderen Raum fotografiert jemand fertige Werke, im Hof wird Fracht verladen. Und hier oben, in der zweiten Etage, sitzt hinter einer Glaswand die Entwicklungsabteilung aus Ingenieuren und Architekten. Die testen neue Materialien und Möglichkeiten. Gerade arbeiten sie an der Frage, wie der prägnante Faltenwurf der Spiegelfolie als massiver Guss nachgebildet werden kann. Nebenan werden die Streifen- und Folienbilder gemacht. Mittelgroße Leinwände liegen auf Böcken und werden von Assistenten bemalt und beklebt. Dazu benutzen sie einen Vordruck, auf dem der Chef Zahlen eingetragen hat; jeder Zahl entspricht eine Farbe. Doch ganz so fordistisch, wie es aussieht, läuft die Fabrik nicht: Anselm Reyle betont, dass ihm die Meinung jedes Mitarbeiters sowie eine gute Atmosphäre wichtig seien. Der zu einem riesigen Metallbaum vergrößerte Kerzenständer etwa, der auf der Art Basel / Art Unlimited zu sehen war, hatte sein Vorbild in dem Fundstück eines Assistenten.

Der Künstler erwähnt gern solche Beispiele sozialdemokratischer Betriebsführung – sein rascher Erfolg ließ manche skeptische Stimmen laut werden. Geldgierig sei er geworden. Er stelle seine Tonne raus, solang es regne, lästerte ein Kritiker. Langjährige Sammler seiner Arbeiten beschwerten sich, weil sie mit dem neuen Preisniveau nicht mithalten können. „Das ist leider der Mechanismus des Marktes“, sagt der Künstler, und es klingt überhaupt nicht eingeschnappt, sondern auch wieder ungeheuer bescheiden.

Der Mechanismus des Marktes: Nachdem Anselm Reyle durch exponierte Museums- und Sammlerausstellungen international bekannter wurde, explodierten im vergangenen Jahr die Preise auf dem secondary market. Bei Auktionen gingen Material- und Schüttbilder plötzlich für ein Zehnfaches des Schätzpreises weg. Der Auktionsrekord für ein Bild liegt nun bei über 400 000 Euro. Die Eruptionen auf dem Auktionsmarkt erschütterten auch das Galeriengeschäft: 2007 wechselte Reyle in den USA von der Galerie Gavin Brown zum Riesen Gagosian. In Berlin hatte er bereits vor dem großen Durchbruch Giti Nourbakhsch verlassen, die ihn jahrelang vertrat. Er ging zu Contemporary Fine Arts, wo es jedoch zum Zerwürfnis kam, über dessen Gründe beide Parteien schweigen. Heute, sieben Monate später, übernimmt das Atelier also auch Galerieaufgaben wie Pressearbeit und Buchhaltung – und wächst weiter.

In gewisser Weise gleicht Reyles Atelier seiner Kunst: Jede Arbeit ist hochrational organisiert, und doch durchschaut man sie nicht sofort. Es tun sich immer wieder überraschend Räume auf, Querverweise auf Avantgarden. Störungen und Brüche schieben sich ins Wohlgefallen. Dieser opulente Faltenwurf der Glitzerknitterbilder – aus Rettungsfolie. Diese elegante Farbgebung der Skulptur, die je nach Lichteinfall den Ton ändert – aus Lack für das Angeberauto des kleinen Mannes, den aufgemotzten GTI. Diese Geometrie der Streifenbilder – stets besudelt durch einen Farbkreis und stilisierte Tropfen, als hätte ein Assistent seine Kaffeetasse auf die Leinwand gestellt. Es ist die Signatur des Künstlers.

„Diese Arbeiten tragen eine Schönheit vor sich her, die so übertrieben ist, dass sie gleichzeitig ihre Hinfälligkeit preisgibt. Ich möchte zeigen, wie einfach die Mittel ihrer Effekte sind“, sagt Reyle. Vor ihm steht der Sockel für eine „Harmony“-Skulptur, und wann immer er als deutscher Jeff Koons bezeichnet wird, hat das mit der geschwungenen Form und provozierend anmutigen Oberfläche von „Harmony“ und ihren Schwestern zu tun. Reyle verwandelt dafür afrikanische Specksteinskulptur in spritzige Minimal Art, indem er sie als vergrößerten Abguss auf einen Sockel stellt und in Autolack kleidet. Als Zwitter ist sie weder billiger Exotismus, noch passt sie zur Vorstellung von einer Moderne, die mit allen Traditionen bricht. So spielt der Künstler mit Erhabenheit, Kitsch und Idylle und verschiebt Bedeutungen. Dass gerade diese aufdringliche Schönheit auch reichen Leuten gefällt, weiß Reyle. Sie strahlt genau jenen Glamour aus, den der Publizist Diedrich Diederichsen in seinem neuen Buch „Eigenblutdoping“ beschreibt: „Glamour ist auf ästhetischer Ebene eine Antwort darauf, dass die Balance von institutioneller, bürokratischer, kulturpolitischer und ökonomischer Bewertung von Kunst nicht mehr zu haben ist oder immer schon eine notdürftige Bemäntelung für die Dominanz von Markt und Käuflichkeit war.“

Zynismus oder fatalistische Erschöpfung aber sind Reyles Sache nicht. Nach der Tour sitzt er in seinem gediegenen holzgetäfelten Büro, von dem aus einst der Meister seinen Betrieb regierte, als das hier noch eine Tischlerei war. Man kann sich gut vorstellen, wie der heutige Mieter hier seine nächsten Streiche ausheckt: Es braucht wohl so viel Bodenständigkeit, um dem Glamour der Kunstwelt mit Glamour zu begegnen.

Daniel Völzke

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