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Fleming

© Festspielhaus

Glasglockenkunst: Rosenkavalier in Baden-Baden

Christian Thielemann dirigiert in Baden-Baden einen "Rosenkavalier" mit Staraufgebot.

In Baden-Baden tickt die Welt seit jeher ein bisschen anders. Die Pelze, die die Damen und Herren Kur- und Kulturgäste Gassi führen, sind pelziger, die Russen russischer, das Klima milder, die Süppchen sahniger. Das liebe Geld, hier stinkt es nicht nur nicht, nein, es duftet. Dass das auch 2009 so bleibt, dafür trägt Festspielhaus-Intendant Andreas Mölich-Zebhauser kräftig mit Sorge: "Die Leute haben einfach keine Lust auf Krise." Von den fünf Hauptsponsoren des rein privat finanzierten Festspielhauses (darunter Mercedes- Benz und die Deutsche Bank) haben drei ihre Zuschüsse für das laufende Vertragsjahr übrigens gerade erhöht.

Das Extrige, Außergewöhnliche hat also immer Saison. Bezahlt und gekauft wird, was Rang und Glanz und Namen hat. Eine Glasglockenkunst. Eine Kunst jenseits aller lästigen Bildungsaufträge und jeden Stachels, einzig dem gehobenen Kommerz verpflichtet und gewissen Stargelüsten. Ist es das, was uns erwartet, wenn sich die subventionierte Theaterlandschaft demnächst selbst stranguliert hat? Andererseits: Müssen wir immer gleich moralisch werden, wenn es in der gebeutelten Kultur ausnahmsweise einmal ans Genießen geht, an eine kleine Fettlebe?

Der "Rosenkavalier", der in Baden-Baden nun die Wintersaison eröffnete, könnte den Verdacht des Kulinarisch allzu Kulinarischen wohl erhärten. Und hebelt ihn im gleichen Atemzug wieder aus: Weil es einer großen Musik letztlich völlig wurst ist, ob die Menschen ihr in Nerz, Strickjacke oder in Lumpen begegnen. Und großen Musikern natürlich auch. Für Christian Thielemann ist Richard Strauss' Komödie für Musik wahrlich kein unbekanntes Stück; für "seine" Münchner Philharmoniker schon, die mit dieser Premiere ihre Baden-Badener Opern-Residenz begründeten (ab 2011 folgt hier ein "Ring"). Bei der Arbeit mag diese Diskrepanz hinderlich gewesen sein: Am Abend entsteht etwas daraus.

Es gibt viel wahres Theater im falschen, sagt Strauss

Schade, dass die Musiker ihrem Generalmusikdirektor nicht noch mehr Selbstvertrauen entgegenzusetzen haben, mehr bajuwarische Deftigkeit, mehr Bazitum - gerade in dieser Partitur, die den Hörer weltmeisterlich darüber im Unklaren lässt, was ernst und echt gemeint ist und was nicht, ja ob überhaupt irgendetwas. Solche Künstlichkeiten wiederum sind dem Klangsinnsucher Thielemann in einer Weise fremd, die das Ganze in guten Momenten zum Überschnappen bringt: Wenn sich erst in der Akkuratesse des Walzers dessen ganze Schmierigkeit entlarvt oder wenn das musikalische Geschehen in der Mariandl-Szene des dritten Aktes förmlich erodiert. Hier ein falsches Haarteil, dort eine Spiegelscherbe aus dem Marschallinnen-Monolog, alles wild, lose verstreut und zweifellos aus einer gewaltigen Depression geboren.

Es gibt jede Menge wahres Theater im falschen, sagt Strauss mit dieser Musik, und die mozartisch-federnde, findige Transparenz der Thielemann'schen Lesart macht diese Erkenntnis funkeln. Andererseits: Das Schnelle ist dem Berliner oft sehr schnell, das Langsame arg langsam, und die in allen Spektralfarben schillernden Übergänge sitzt er aus, als ließe er sich einen Champagnertrüffel nach dem anderen auf der Zunge zergehen.

Seltsam auch, auf welch weichen Sohlen das so grelle Vorspiel zum dritten Akt daherschlurft und dass die musikalische Spannungskurve immer dann nach unten zeigt, sobald der Ochs die Bühne betritt. Angst vor Franz Hawlatas stimmlicher Kraftmeierei, die dieser längst mit heiseren Höhen bezahlt? Tribut an die für Baden-Baden frisch aufgewärmte Salzburger Wernicke-Inszenierung von 1995, der trotz wackelnder Spiegelwände auch nicht mehr einfällt als weiland Otti Schenk in München oder Wien? Wobei die alten Witze immer wieder gut sind . . .

Flemings Marschallin macht Kopfzerbrechen

Franz Grundheber ist ein erzkomödiantischer, ja tragischer Faninal, Jane Henschel eine in jeder Hinsicht raumgreifende Annina, Andreas Hörl ein gestochen textverständlicher Kommissar, Jörg Schneider ein exzellenter Wirt - gerade die kleinen Rollen zeigen, wie anspruchsvoll diese Konversationsoper besetzt werden muss! Auf solchem Fundament geben Sophie Koch und Diana Damrau ein entzückend junges Paar: Kochs Octavian mit leicht kehligem Mezzo, aber hoch emphatisch in Mimik und Spiel, Damraus Sophie ganz das "neuadelige" Hühnchen, mit überklaren, drahtseilsicheren Spitzentönen noch im Schlussterzett.

Einzig Renée Flemings Marschallin macht Kopfzerbrechen: Die Registerbrüche, das Quetschen der Vokale, die Parlando-Leichtigkeit, die man vermisst, der Stock im Rücken - ist's vielleicht Absicht, das Porträt einer gefühlsmäßig längst erkalteten, zu keiner Liebesnacht mehr fähigen Frau? Wo Fleming draufsteht, ist gefälligst auch Fleming drin, befindet das Publikum an der Oos. Ovationen und kübelweise weiße Rosen für alle.

Christine Lemke-Matwey

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