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Kultur: "Glatzer oder Der hektische Stillstand": Ende gut, alles schlecht

Es hätte so ein schöner Skandal werden können. Ein Ex-Bundestagsabgeordneter hat ein Theaterstück geschrieben, das intime Details aus der großen Politik preiszugeben versprach, beispielsweise vom Machtkampf zwischen Schröder und Lafontaine.

Es hätte so ein schöner Skandal werden können. Ein Ex-Bundestagsabgeordneter hat ein Theaterstück geschrieben, das intime Details aus der großen Politik preiszugeben versprach, beispielsweise vom Machtkampf zwischen Schröder und Lafontaine. "Glatzer oder Der hektische Stillstand" beschreibt den realitätsfernen Arbeitsalltag eines kleinen Abgeordneten, der sich in den Stricken des politischen Systems verfängt. Das Stück von Hans Wallow bot Anlass zu allerlei Spekulationen.

Da erschien Ende 1999 ein Teilabdruck des geheimgehaltenen Textes in einer Tageszeitung, von dem Wallow behauptete, er sei ihm gestohlen worden. Da witterte die Regierung in dem Stück ein "Dienstrechtsvergehen" und prüfte rechtliche Schritte. Um schließlich - natürlich unabhängig davon! - Wallow nach Bonn zu versetzen, der aber lieber seinen Dienst quittierte und noch immer prozessiert. Das Stück soll an große Berliner Theaterhäuser, unter anderem an Peymanns Berliner Ensemble, gegangen und überall wegen schlechter Qualität abgelehnt worden sein. Schließlich erklärte der Autor, sich bewusst gegen die Berliner Theater und für das kleine Haus in Brandenburg entschieden zu haben, weil er seinen Text ohne Änderungen inszeniert sehen wollte. Das hat ihm der damalige künstlerische Leiter Thomas Höft denn auch zugesichert, einschließlich weitgehender Mitbestimmung am gesamten Probenprozess.

Klar ist nur, dass Höft dies tat, weil er das Stück als medienträchtigen Skandalbringer für sein krisengeschütteltes Theater brauchte. Das Theater Brandenburg war erst Mitte der neunziger Jahre mit EU-Mitteln ausgebaut und durch schlechtes Management beinahe in den Bankrott getrieben worden. Vier Intendanten hat es seitdem verschlissen, mehr als die Hälfte seiner Mitarbeiter entlassen und die Schließung gerade eben abgewendet. Als auch Höft im letzten Jahr gehen musste, war "Glatzer" eine Altlast, die aus vertragsrechtlichen Gründen wohl oder übel inszeniert werden musste. Regisseur Christian Suhr, der sich schließlich dazu bereit fand, interessierte an dem Stück weniger die Systemkritik Wallows als die Frage, was einen normalen, durchaus skrupulösen Menschen dazu treibt, zum Typus des Machtpolitikers zu mutieren, und was er dabei aufgibt. Dafür trotzte er dem Autor einige Änderungen ab, die den Figuren mehr psychologische Tiefe verleihen sollten. Im zermürbenden Kampf der beiden um die letztendliche Fassung stand das Stück mehrfach auf der Kippe.

Dass unter diesen Bedingungen überhaupt ein Stück zu Stande kam, ist erstaunlich, dass es auch noch unterhaltsam ist, umso mehr. Die Geschichte des kleinen Fisches, der im Haifischbecken mitschwimmen will und zwischen die Fronten gerät, entfaltet einen gewissen Reiz. Der Überfordete wird zu einem "Mann ohne Eigenschaften", der zunehmend von zwei Impulsen getrieben wird: Angst und gleichzeitig Abhängigkeit von der Droge Macht, die ihm Liebe und Anerkennung ersetzt. Das Ganze wird realistisch unterfüttert mit Anspielungen auf reale politische Ereignisse. Wenn auch die Namensgebung etwas platt geriet - Don Kohleone, der Duce, "Pitbull" Horbach - so werden doch die Taktiken und Wechselbeziehungen, beispielsweise mit den Medien, clever vorgeführt. Daneben bietet der Text im Privaten leider eher Klischees, wie die frigide Ehefrau, die aufmüpfige Tochter oder das Verhältnis mit der Sekretärin.

Das Stück schwankt zwischen politischer Satire, wofür Wallows Text nicht bündig und bissig genug war, und persönlichem (Beziehungs-)Drama - und ist doch nicht misslungen. Einige Schauspieler (Christian Suhr als Glatzer, Mèlanie Linzer als seine Tochter, Yvonne Hornack als Juliane), das Insiderwissen Wallows und nicht zuletzt die Verve des engagierten Regisseurs machen das Stück trotz allem sehenswert. Nach anfänglich ausverkauften Vorstellungen ließ der Besucherandrang in der kleinen Stadt nach. Dafür wird eine Tournee des Stückes ins Auge gefasst. Autor und Regisseur wollten mehr, als nur allgemeine Politikverdrossenheit bestätigen - "dass das System selbst der Skandal ist, weil es Menschen zwangsläufig zu Kieselsteinen abschleift". Wallow hat einen gläsernen Staat ohne Fraktionszwänge im Sinn, Suhr ein "Theater als Marktplatz gesellschaftlicher Diskussionen". Das mag man altmodisch-aufklärerisch finden, aber unsinnig ist es nicht, gerade im idyllisch verschlafenen Brandenburg, dem wohl bald zwei Fünftel seiner Einwohner abgewandert sein werden. Eine Stadt, die keine Skandale braucht, wohl aber gesellschaftliche Diskussionen.

Janine Ludwig

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