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Kultur: Glaube, Kriege, Hoffnung?

Über die zwei Arten des Religionskriegs. Wenn sie sich jetzt vermischen – dann gute Nacht!

Gesellschaften, die sich selbst für aufgeklärt halten, vermuten hinter allem, was ihnen unaufgeklärt und irrational erscheint, die Religion. Sie tun das um so mehr, je hartnäckiger sich diese Reste der Irrationalität den Segnungen der Aufklärung widersetzen. Napoleon etwa witterte hinter dem spanischen Widerstand gegen die politische und rechtliche Ordnung des nachrevolutionären Frankreich, die er auf der iberischen Halbinsel verbreiten wollte, sogleich die Machenschaften katholischer Priester.

Dagegen hatte Thomas Hobbes, einer der Ziehväter des modernen politischen Denkens, die englischen Geistlichen und Prediger für das genaue Gegenteil verantwortlich gemacht: dass von ihnen eine geistige Unruhe ausgehe, die der politischen Stabilität äußerst abträglich sei. Die von ihnen verbreiteten Vorstellungen von Visionen und Offenbarungen würden bei den Menschen falsche Erwartungen über die bevorstehende Wiederkehr des Herrn und die Auflösung aller politischen und sozialen Ordnung wecken. War für Napoleon die katholische Kirche der Hort der Reaktion, den es zu bekämpfen und besiegen gelte, so stellten für Hobbes puritanische Erweckungsbewegungen ein politisch revolutionäres Potenzial dar, das der Souverän unter Kontrolle halten musste.

Andere Politiker und Politiktheoretiker haben in der Religion weniger einen Unruhefaktor als einen Stabilitätsgenerator gesehen – Niccolò Machiavelli etwa, der den säkularen Herrschern angeraten hat, sie sollten sich selbst eine sakrale Aura zulegen und die religiösen Bindungen ihrer Untertanen festigen, um so nicht nur die eigene Macht zu stärken, sondern auch die Selbstbehauptungsfähigkeit der politischen Gemeinschaft. Religion wurde (und wird) also nicht nur als eine politisch störende Größe angesehen, die entweder den Fortschritt blockiert oder die Stabilität untergräbt, sondern auch als ein Ordnungsfaktor, durch den sich nicht nur die Hände, sondern auch die Herzen der Menschen binden lassen. Wenn Religion immer im Spiel ist, dann gilt dies auch und gerade für den Krieg. Alles Religionskrieg, oder was?

Tatsächlich hat Napoleon mit seiner Vermutung nicht ganz unrecht gehabt. Der spanische Partisanenkrieg wurde – zumindest auch – von katholischen Priestern organisiert; sie verliehen diesem Krieg einen Sinn, der über den eines bloß machtpolitischen Ringens um die Hegemonie in Europa hinausging. Das hat den Partisanengruppen und der sie unterstützenden Bevölkerung ideologischen Rückhalt und Durchhaltevermögen verliehen. Ganz ähnlich hat der afghanische Widerstand gegen die sowjetischen Invasoren, um ein aktuelles Beispiel zu nehmen, an Kraft und Durchhaltevermögen gewonnen, seitdem er auf eine religiöse Dimension zurückgreifen konnte und mehr war als eine bloße Verteidigung von Traditionen gegen ihre revolutionäre Modernisierung. Vor allem war diese religiöse Dimension ein Mittel, um den Zustrom von Freiwilligen und Hilfsgeldern zu mobilisieren, also um einen innergesellschaftlichen Konflikt zu internationalisieren beziehungsweise, präziser, zu transnationalisieren. Religiöse Solidarität greift auch dort als Instrument der Internationalisierung von Konflikten, wo keine gemeinsamen Interessen vorhanden sind. Aber nicht selten verbindet sich religiöse Solidarität auch mit handfesten Interessen und machtpolitischen Erwägungen.

Die europäischen Konfessionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts sind dafür ein gutes Beispiel: Von den Hugenottenkriegen in Frankreich bis zum Dreißigjährigen Krieg bilden sie ein Amalgam aus machtpolitischen Entscheidungen und konfessionellen Verbindungen und Gegensätzen. Gerade der Dreißigjährige Krieg ist in vieler Hinsicht eine Blaupause vieler gegenwärtiger Kriege in Zentralasien und im subsaharischen Afrika: Nicht nur die nach Jahrzehnten zu zählende Dauer und die große Anzahl der in den Krieg verwickelten Akteure ist vergleichbar, sondern auch die Gemengelage von Kriegsmotiven. 1618 war es ein verfassungspolitischer Konflikt zwischen den böhmischen Ständen und dem Wiener Kaiserhof, der sich schnell mit konfessionellen Gegensätzen aufladen ließ. Schon bald waren weitere Mächte in den Krieg involviert, die entweder, wie Frankreich unter Kardinal Richelieu, aus Gründen der Staatsräson in den Krieg eingriffen, oder die zumindest auch, wie das Schweden Gustav Adolfs, eine gewisse konfessionelle Solidarität mitbrachten. Vor allem aber verselbständigte sich der Krieg, indem er immer mehr Akteure hervorbrachte, die vom Krieg lebten und darum an seiner Fortdauer interessiert waren. Die konfessionelle Frage war also nur ein Konfliktfeld neben vielen anderen. Sie hat zu Dauer und Intensität des Krieges zweifellos erheblich beigetragen. Aber sie war weder allein ursächlich noch allein verantwortlich für die lange Dauer des Krieges.

Kriege, in denen die Religion neben anderen Konfliktfragen eine Rolle spielt, sind von solchen zu unterscheiden, die wesentlich um religiöse Fragen geführt werden. Die Makkabäerkriege sind ein Beispiel dafür. Unter der Regierungszeit des Seleukidenherrschers Antiochus Ephiphanes, so berichtet das Alte Testament, seien viele Juden von ihrem Glauben abgefallen und hätten sich hellenisiert. Inbegriff dieser vor allem die jüdische Oberschicht erfassenden Hellenisierung war die Errichtung von Sportstadien: Der Körperkult trat an die Stelle des Gottesdienstes. Die Anhänger des alten Gottesglaubens gerieten im Gefolge dieser kulturellen Vereinheitlichung – um nicht von einer frühen Globalisierung zu sprechen – schnell in Bedrängnis. Bald entwickelte sich eine von Judas Makkabäus geführte Aufstandsbewegung gegen die hellenisierte Oberschicht und deren von außen kommende Unterstützer.

Nicht machtpolitische Konflikte, wie beim ersten Typus des Religionskriegs, vermischten sich hier mit religiösen Fragen, sondern identitätspolitische Auseinandersetzungen. In ihnen ging es um kulturelle Selbstbehauptung oder Assimilation. Das Alte Testament schildert diese mit äußerster Härte geführten Kriege, in denen aus der Sicht der Aufständischen der wahre Glaube gegen eine verweltlichte Lebensweise verteidigt wurde – wenn man so will gegen Materialismus und Libertinage. Natürlich hatten die aufgeklärten Schichten des Seleukidenreichs und in dessen Nachfolge der Römer nur Verachtung für solchen religiösen Fundamentalismus. All das war ihnen aus ihrer philosophischen Weltsicht eine bloße Torheit.

Was lässt sich aus all dem für die Pazifizierung von Religionskriegen lernen? Der Dreißigjährige Krieg konnte in einem mehrjährigen Friedensprozess beendet werden. Dessen Erfolgsrezept bestand in der Separierung machtpolitischer und konfessioneller Fragen. Der so genannte Westfälische Frieden beruhte auf einer Entflechtung der bei Kriegsbeginn ineinander verstrickten Fragen der inneren Ordnung einzelner Staaten, der machtpolitischen Balance in Europa, der politischen Kontrolle bewaffneter Haufen und schließlich auch des Glaubensrituals.

Davon ist für heutige Friedensprozesse einiges zu lernen. Ganz anders erfolgte die bei weitem nicht so erfolgreiche Pazifizierung des zweiten Typus von Religionskrieg, des religiös motivierten Beharrens der Juden auf ihrer kulturellen Identität inmitten eines Meeres hellenistischer Kulturverschmelzung: Ihnen wurden besondere Rechte und eine Sonderstellung eingeräumt, die ihnen ein religiöses Überleben in der kulturellen Globalisierung der Großreichsbildungen erlauben sollten. Das hat zeitweilig ganz gut funktioniert.

Aber nach einiger Zeit kam es wieder zu fundamentalistischen Aufwallungen gegen die um sich greifenden Prozesse kultureller Vereinheitlichung. Die politische Kunst unserer Tage dürfte darin bestehen, beide Typen von Religionskrieg auseinander zu halten und die je angemessene Pazifizierungsstrategie zu nutzen. Selbstgewisses Aufgeklärtheitsgerede ist dabei nur hinderlich; schlimmstenfalls führt es dazu, dass beide Kriegstypen sich miteinander verbinden. Das wäre dann in einem ganz anderen Sinn, als Samuel Huntington sich dies vorgestellt hat, ein GAU, der größte anzunehmende Unfall, der weltpolitischen Ordnung.

Herfried Münkler

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