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Elisabeth (Linda Pöppel, rechts) bandelt mit dem Polizisten Alfons (Manuel Harder) an.

© Arno Declair

„Glaube Liebe Hoffnung“ am DT: Wo sich die Notlügen stapeln

Jürgen Kruse inszeniert Ödön von Horváths „Glaube Liebe Hoffnung“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin. Ein Abend mit Längen und tollen Schauspielern.

Leicht hatte es die Korsettvertreterin Elisabeth ja noch nie. Die materielle Lage dieser wackeren jungen Existenzkämpferin aus Ödön von Horváths Stück „Glaube Liebe Hoffnung“ gestaltet sich seit jeher derart trostlos, dass sie schon zu Lebzeiten ihre Leiche verkaufen will. Quasi perspektivisch, für 150 Mark, ans Anatomische Institut. Um, wie sie dem Präparator erklärt, ihren „Wandergewerbeschein“ bezahlen zu können. Und dieser deprimierende Deal steht nur am Anfang einer denkbar steilen Abwärtskurve.

In den Kammerspielen des Deutschen Theaters ist die Abrutschgefahr allerdings besonders groß. Und zwar nicht nur für die Protagonistin, sondern auch fürs Publikum. Denn der Regisseur des Abends heißt Jürgen Kruse. Und der spielt bekanntlich in einer ganz eigenen Liga. Kruse-Theater ist weniger dramatische Interpretationsübung als vielmehr Fan-Party: Feier eines ureigenen Zeichensystems. Je Kruse-kundiger die Zuschauer, desto höher – und desto stolzer zur Schau getragen – ihre Entschlüsselungskompetenz. Die eingeweihtesten Parkettsitzer klopfen sich schon auf die Schenkel, wenn sich nur der Vorhang, sorry, die Halbgardine öffnet. Rocken dann erste Soundhighlights aus des Regisseurs allseits verehrtem Plattenschrank die Hochkultur-Bude, gibt’s sowieso kein Halten mehr.

Tatsächlich sind immer wieder außergewöhnliche Abende entstanden in Kruses schummrigen, kreativ zugerümpelten Bühnenwelten. Unvergleichliche Theater-Trips, die mit ihren Kalauern, Wortverdrehern und konsequent sinnentstellenden Betonungen unbeirrt sämtlichen Moden trotzen. Derart Unvergleichliches hat es aber gemeinhin auch an sich, ebenso unvergleichlich schiefgehen zu können.

Ein schwarzer Engel kreist

Und diesmal macht’s der Meister seinen Fans wirklich schwer. Mit knappen zwei Stunden Spieldauer ist der Abend im Programmzettel angekündigt. Dass sich nach 120 Minuten – sieht man von einer expressiven Enthusiastin in der fünften Reihe einmal ab – partout noch keine Partystimmung abzeichnet, ist noch nicht mal das Hauptproblem. Schwerer wiegt, dass der Abend zu dem Zeitpunkt, an dem er eigentlich schon vorbei sein soll, gerade erst träge in den letzten Akt einbiegt. Kurzum: Die Veranstaltung hat ein immenses Timing-Problem.

[Nächste Vorstellungen am 31. Oktober sowie am 2., 17. und 26. November]

Wirklich ungemein zäh schleppt sich Horváths „kleiner Totentanz in fünf Bildern“ über Bernd Damovskys Friedhofsbühne. Da wird, unter anderem, eine Litfaßsäule mit einem Werbeplakat der anatomischem „Körperwelten“-Ausstellung von einem schwarzen Engel umkreist und von weiterer üppiger Todessymbolik umstellt. Und zwischen den Eingängen zum Anatomischen Institut auf der einen und dem Wohlfahrtsamt auf der anderen Seite treten diesmal selbst die Wortspiele auf der Stelle, brauchen ewige Anläufe bis zur letztlich mageren Pointe.

Unglückliche Liebesgeschichte mit einem Polizisten

Der Plot wird dennoch gnadenlos auserzählt. Ab und zu scheint auch mal so etwas wie ein Mikro-Gegenwartsmoment auf, um allerdings sogleich wieder abzutauchen. Horváths 1932/33 entstandenes Stück „Glaube Liebe Hoffnung“ buchstabiert durch, wie der armen redlichen Elisabeth von stumpfsinnigen Paragrafen und ihren spießigen Vollstreckern das (Arbeits-)Leben schwer beziehungsweise letztlich unmöglich gemacht wird. Denn die junge Frau wird einfach die Geldstrafe nicht mehr los, die sie einst wegen Arbeitens ohne Gewerbeschein aufgebrummt bekam – weil diese Strafe eine fatale Notlügenkette in Gang setzt. Deren trauriger Höhepunkt ist die unglückliche Liebesgeschichte mit dem Polizisten Alfons Klostermeyer, der sich trennt, als er von ihr erfährt.

Man möchte sich wirklich nicht ausmalen, wie der Abend in den DT-Kammerspielen aussähe, wenn es nicht Linda Pöppel wäre, die hier dem karrieristischen Uniformträger hinterhertrauert. Und wenn in ebendieser Uniform nicht Manuel Harder steckte. Die Tatsache, dass hier absolute Spitzenkräfte ihres Fachs auf der Bühne stehen, führt immerhin zu dem einen oder anderen bemerkenswerten Moment in den ewig langen zweieinhalb Stunden.

Die sonntagmorgendliche Paarkitsch-Idylle zum Beispiel, die Pöppel und Harder einmal zwischen Blumenvase, E-Gitarre und den Stones auf die Bretter ironisieren, wird sicher im theatersaisonalen Gedächtnis bleiben. Und wenn Frank Büttner als „der Herr Amtsgerichtsrat“ seine Gattin niederbrüllt und dabei nacheinander gefühlt 50 Zähne ausspuckt, wie zuvor bereits Natali Seelig als „Baron mit dem Trauerflor“, schaut man ausnahmsweise mal kurz nicht auf die Uhr.

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