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Radikaler Humanist. Die Statue von Alexander vom Humboldt vor der Berliner Universität.

© Maurizio Gambarini/dpa

Glaube und Wissenschaft: Humboldts Ideen veränderten die katholische Kirche

Alexander von Humboldt gilt als Mann der Forschung. Aber sein Humanismus beeinflusste auch die Theologie. Ein Gastbeitrag des Berliner Erzbischofs.

Sie sind alte Nachbarn über die Straße, die Humboldt Universität und die katholische Kirche. Nachbarn, die es nicht immer leicht miteinander hatten.

Auf der nördlichen Seite der Allee Unter den Linden erhebt sich in Höhe des Bebel-Platzes das Hauptgebäude der 1810 gegründeten ersten Berliner Hochschule. Auf der südlichen Seite steht die St.-Hedwigs-Kathedrale, die 1773 eingeweihte Mutterkirche der Katholikinnen und Katholiken im heutigen Erzbistum Berlin.

Hier die Heimstätte aufgeklärter Wissenschaft, da der Hort traditionsgebundener Religiosität, so könnte man zugespitzt sagen. Hier das säkulare Wissen, da der christliche Glaube.

Auf beiden Seiten der Straße mochte man sich gefragt haben, in welche Nachbarschaft man da im ausgehenden Zeitalter der Aufklärung eigentlich geraten war. Jedenfalls in eine dauerhaft herausfordernde.

Auf fast allen Wissensgebieten vollzog sich im Aufklärungszeitalter das, was man eine „anthropologische Wende“ genannt hat.

Der berühmte Königsberger Philosoph Immanuel Kant fasste die drei großen Fragen der Menschheit: „Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen?“, die Fragen der Metaphysik, der Moral und der Religion, programmatisch in der einen, grundlegenden Frage zusammen: „Was ist der Mensch?“

Einheit ins menschliche Streben bringen

Die Tatsache, dass der Mensch mehr und mehr ins Zentrum der Weltbetrachtung rückte, hatte in Bezug auf die Stellung, die der Religion zugemessen wurde, sehr unterschiedliche, ja, gegensätzliche Konsequenzen. Das lässt sich gut am Beispiel jenes Brüderpaares zeigen, dessen Namen die Linden-Universität inzwischen mit berechtigtem Stolz trägt.

1793 lobte Wilhelm von Humboldt das wissenschaftliche Talent seines zwei Jahre jüngeren Bruders Alexander: „Er ist gemacht, Ideen zu verbinden, Ketten von Dingen zu erblicken, die Menschenalter hindurch ohne ihn unentdeckt geblieben wären.“

Für diese Art der Erkenntnis sei es, so der ältere Humboldt, notwendig, „Einheit in alles menschliche Streben zu bringen, zu zeigen, dass diese Einheit der Mensch ist, und zwar der innere Mensch ist, und den Menschen zu schildern, wie er auf alles außer ihm, und wie alles außer ihm auf ihn wirkt“.

Alexander von Humboldt, dessen 250. Geburtstag am 14. September gefeiert wird, teilte diese anspruchsvolle Anthropozentrik. Im Laufe der Jahre gelangten die Humboldt-Brüder jedoch zu Wissenschaftskonzeptionen, die sich gerade in religionstheoretischer Hinsicht grundlegend voneinander unterschieden.

Schatztruhe und Schloss-Remake. Nachtsicht auf die moderne Ostfassade des Humboldt Forums.
Schatztruhe und Schloss-Remake. Nachtsicht auf die moderne Ostfassade des Humboldt Forums.

© Fabrizio Bensch / Reuters

Wilhelm von Humboldt vertrat 1821 in seinem bekannten Essay „Über die Aufgabe des Geschichtsschreibers“ die Auffassung, dass eine umfassende Weltgeschichte, die den Menschen in den Mittelpunkt stelle, „nicht ohne eine Weltregierung verständlich“ zu machen sei. Der Gottesgedanke als regulative Idee wissenschaftlichen Denkens blieb für ihn unverzichtbar.

Leicht spöttelnd fasste Humboldt diese Ansicht 1837 zusammen: „Gott regiert die Welt; die Geschichtsaufgabe ist das Aufspüren dieser ewigen geheimnisvollen Rathschlüsse.“

An die Stelle der Gottesidee setzte Alexander von Humboldt die Idee der Humanität. Hatte doch sein Bruder selbst gesagt: „Wenn wir eine Idee bezeichnen wollen, die durch die ganze Geschichte hindurch in immer mehr erweiterter Geltung sichtbar ist, (...) so ist es die Idee der Menschlichkeit: das Bestreben, die Grenzen, welche Vorurteile und einseitige Ansichten aller Art feindselig zwischen die Menschen gestellt, aufzuheben; und die gesamte Menschheit ohne Rücksicht auf Religion, Nation und Farbe, als einen großen, nahe verbrüderten Stamm, als ein zur Erreichung eines Zweckes, der freien Entwicklung innerlicher Kraft, bestehendes Ganzes zu behandeln.“

Die Frage nach dem Mensch bleibt die wichtigste aller Fragen

Die katholische Theologie und Kirche haben sich mit dem vielschichtigen Erbe der Aufklärung, das anhand der Humboldt-Brüder aufleuchtet, lange Zeit schwergetan. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts setzte innerkatholisch ein produktiver Nachvollzug der „anthropologischen Wende“ ein.

Ich bin darüber sehr froh. Denn heute ist klar: Wir leben in einer Zeit, in der das Wissen allgemein und insbesondere das Wissen über den Menschen in ungeheurer Weise wächst und in der dieses globalisierte und digitalisierte Wissen in der Praxis immer besser und leichter anwendbar wird. Ich denke beispielsweise an die technischen Fortschritte in der Medizin mit ihren mitunter problematischen Implikationen.

Diese Entwicklungen stellen die Menschheit insgesamt vor große Herausforderungen. In dieser Hinsicht hatte Kant Recht: Die Frage nach dem Menschen ist und bleibt die grundlegende Frage aller Fragen.

Der Mensch wird dem Mensch ein Rätsel bleiben

Wir sind uns heute bewusst, dass sie auf sehr unterschiedliche Weise gestellt und beantwortet werden kann. Historische und philosophische Anthropologien, Kultur- und Sozialanthropologien, Rechts- und Wirtschaftsanthropologien, geistes- und naturwissenschaftliche Anthropologien unternehmen vielfältige Selbstdeutungsversuche ein und desselben Menschseins. Am Ende all dieser wertvollen Versuche, so bin ich überzeugt, wird der Mensch dem Menschen ein Rätsel bleiben, eine offene Frage.

Das Museum für Naturkunde in Berlin stellt am Schluss seiner Ausstellung „Evolution in Aktion“ die interessante Überlegung an, dass der biologischen Diversität, mit der sich die Evolutionstheorie befasst, eine geistige Diversität entspreche, verschiedene Arten und Weisen, mit den Erkenntnissen über unsere Wirklichkeit umzugehen.

Theologie und Wissenschaft können sich gegenseitig bereichern

In einer Stadt wie Berlin, die gleichermaßen von Religionslosigkeit wie von religiöser Pluralität geprägt ist, wird schnell deutlich, dass die Frage nach dem Menschen nur in einem diversitätsfähigen Diskurs über weltanschauliche Grenzen hinweg bearbeitet werden kann.

An dieser Stelle können und müssen Theologie und Kirche anknüpfen. Sie greifen den Menschen als jenes Rätsel, als jene offene Frage auf, die über sich selbst hinaus verweist und im Glauben eine Antwort erhält. Sie bringen damit eine Perspektive auf den Menschen in Wissenschaft und Gesellschaft ein, die nach wie vor unverzichtbar ist.

Das ist der Grund, weshalb ich mich so für das neu gegründete Zentralinstitut für Katholische Theologie an der Humboldt-Universität begeistern kann. Ich bin überzeugt, dass die Universität, um wirklich universal zu sein, die Theologien braucht. Und ich bin genauso überzeugt, dass sich die katholische Theologie, um wirklich katholisch zu sein, dem wissenschaftlichen Diskurs an den Universitäten stellen muss.

Meine Hoffnung ist, dass sich das Institut für Katholische Theologie der Humboldt-Universität zu einem Lehr- und Forschungszentrum für Theologische Anthropologie entwickelt, das sich im intensiven Austausch mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen der Frage nach dem Menschen widmet.

Das wäre ein großartiges Nachbarschaftsprojekt von Universität und Kirche. Die Anlieger teilen ein gemeinsames Anliegen.

Heiner Koch

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