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Kultur: Glaube versetzt Sanddünen

Moderne Video-Märchen: „Once Upon a Time“ in der Deutschen Guggenheim Berlin

Woher kommen eigentlich unsere Glühbirnen? Durch Cao Feis glasklare Videobilder schwenken Roboterarme, ein Fließband transportiert mattierte Glaskolben und Leuchtröhren herbei. Ein zweites Band bringt die Drahthalter. Arbeiter greifen sie mit Pinzetten und setzen sie in Sockel ein. Wenn die Birne fertig ist, fährt sie zu Menschen, die mit einem Blick Faden und Fassung prüfen.

Die Fabrik dürfte in China stehen, im Büro stapeln sich Listen mit chinesischen Schriftzeichen. Moderne Zeiten, doch anders als einst in Charlie Chaplins Filmfabrik gerät hier niemand unter die Räder. Mit entschlossener Miene verrichten die Menschen passgenau die nötigen Handgriffe. Trotzdem scheint etwas nicht zu stimmen. Mal lässt Cao Fei einen älteren Herren durch die Halle tanzen, zum Sirren von Material, Maschinen und elektronischer Musik, mal setzt sich ein engelsgleiches Mädchen an den Computer.

Über den Umweg fantastischer Geschichten berichtet die Ausstellung „Once Upon a Time“ von der Wirklichkeit. Das Deutsche Guggenheim Museum zeigt sechs bekannte Videos aus der Sammlung des New Yorker Mutterhauses, von Francis Alys, Aleksandra Mir, Janaina Tschäpe, Pierre Huyghe, Mika Rottenberg und Cao Fei, die ihren Film im südchinesischen Foshan drehte. „Moderne Märchen“ nennt Kuratorin Joan Young die Beiträge, doch das sind sie eigentlich nicht. Anders als Märchen kommen die meisten Beiträge ohne Anfang und Schluss aus und verzichten auf Heldenfiguren. Statt von Prinzessinnen und Zauberern handeln sie von Arbeitern, von Technik, Frauenrechten, Sand und Teig, von Alltag und Alternativen zu ihm. In Caos Fabrik sind nur deshalb Tänzer und Engel unterwegs, weil die Künstlerin die Angestellten nach ihren Träumen und Hobbys befragte und diese sie dann vor der Kamera inszenierten.

„Once Upon a Time“ ist eine packende Ausstellung. Das liegt auch an der Architektur, die den Blick schärft. Der schmale Saal hat sich in eine Art Straße verwandelt, von der man in unterschiedlich gestaltete Videokabinen tritt wie in kleine Läden. Auf halber Strecke öffnet sich ein Platz mit einer Bank. Hier läuft der fröhlichste Beitrag. Aleksandra Mir drehte 1999 an der holländischen Küste ihr Video „First Woman on the Moon“ und viele Freiwillige halfen ihr. Baggerführer schaufelten eine Mondlandschaft zurecht, auf die die Darstellerinnen steigen, als seien sie Armstrong, Aldrin und Collins, und die Fahne der USA hissen. Jeder Anflug von Ärger über die Alleinherrschaft von Männern im All verfliegt im Applaus der Helfer am Set und der Kinder, die lachend auf den Sandhügeln herumspringen.

Die ganz große Kunst ist Mirs Film nicht. Doch weil der Gang durch die Ausstellung immer wieder an ihm vorbeiführt, setzt „First Woman on the Moon“ den Maßstab und verdeutlicht, was hier geht und was nicht. Pierre Huyghes bedächtiger Animationsfilm über seine Mangafigur Annlee kann kaum mit dem kräftigen Realismus von Cao konkurrieren. Mika Rottenberg drehte ein derbes Gleichnis von Bäckerinnen. In einem heißen Sweatshop kneten sie einen riesigen Hefeteig und lassen ihn buchstäblich unter Schweiß und Tränen aufgehen. Die Installation hat Charme, wirkt aber in der kalten Luft aus der Klimaanlage des Museums weit weniger klaustrophobisch als in den Kunst-Werken, die diese Arbeit bereits vor fünf Jahren viel beklemmender präsentierten.

Und in Janaina Tschäpes Film „Lacrimacorpus“ (2004) dreht sich eine Ballerina wie eine Spieldosenfigur um sich selbst und bricht zusammen. Eine Dreieinhalbminutenfassung von Offenbachs „Olympia“? Nein, der Katalog bemüht Jorge Luis Borges und informiert darüber, dass der Tanz auf Schloss Ettersburg stattgefunden habe, nahe des Konzentrationslagers Buchenwald. Diese Information lässt die Arbeit allerdings noch einfältiger wirken als ohnehin.

An das Ende der Straße hat die Kuratorin dann als Höhepunkt Francis Alys’ Videos von seiner Intervention „Wenn der Glaube Berge versetzt“ (2002) platziert. Obwohl Teppich und graubraune Wandfarbe viel von Alys’ spartanischer Wucht schlucken wollen, kann sie sich gegen das Interieur behaupten. Alys ließ in Peru 500 Freiwillige die Kuppe einer Sanddüne versetzen: um zehn Zentimeter, bei sengender Sonne, allein mit Schaufeln und der Aussicht, dass der Wind die kollektive Anstrengung gleich wieder zunichte macht. Doch für einen Moment versetzte der Glaube an den Sinn des Vorhabens ein Stück Berg.

Auch Caos Arbeiter in der Glühbirnenfabrik glauben, und sei es an sich selbst. Ernst posiert ein junger Mann mit seiner E-Gitarre und schlägt die Saiten an. Als seine Kollegen die Birnen einpacken, ist auf den Kartons ein deutscher Name zu lesen: Osram, die Firma mit Sitz auch in der deutschen Hauptstadt. Osram ist eine Tochter des in Berlin gegründeten Unternehmens Siemens, und Siemens arbeitet seit dem 19. Jahrhundert in China. Wie übrigens auch die Deutsche Bank, mit der das hiesige Guggenheim kooperiert und die nun Siemens beim Börsengang von Osram helfen soll. Die Menschen im fernen Foshan sind dem Besucher des Guggenheim Berlin nah, sehr nah – ganz ohne Märchenzauber. Dass sie dies so empathisch verbildlicht, ist das Fantastische der Ausstellung.

Deutsche Guggenheim, Unter den Linden 13/15, bis 9. Oktober, tägl. 10-20 Uhr

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