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Benedikt XVI. spricht Johannes Paul II. selig: Seine Eiligkeit

Schon zu Lebzeiten galt er vielen als heilig. Benedikt XVI. beeilte sich nun, Papst Johannes Paul II. selig zu sprechen. Nur sechs Jahre nach seinem Tod, schnell wie nie zuvor, vor so vielen Pilgern wie selten – und doch erstaunlich distanziert.

Immer, wenn’s ganz feierlich wird und wenn sie aller Welt etwas mitteilen will, dann greift die katholische Kirche auf Latein zurück. „Facultatem facimus, ut venerabilis Servus Dei Ioannes Paulus II…“ Aber die Pilger, die so dicht gedrängt wie selten zuvor auf dem Petersplatz stehen, sie verstehen alles aufs Wort. Es ist die rituelle Formel, deretwegen viele von ihnen tausende von Kilometern angereist sind. Mit ihr spricht Papst Benedikt XVI. seinen Vorgänger Johannes Paul II. selig.

Zur gleichen Zeit hebt sich wie von unsichtbarer Hand gezogen ein Schleier von einem riesigen Bild des neuen Seligen, hoch oben an der Fassade des Petersdoms. Gewaltiger Applaus brandet auf, tausende kleiner Fahnen werden geschwenkt, die weiß-roten polnischen vor allen anderen, viele spanische, ein paar deutsche. Rote Gasballons ziehen ein Transparent in die Höhe. „Deo gratias!“, steht darauf geschrieben. „Gott sei Dank!“ Reihenweise fallen Frauen auf die Knie, klatschen nicht, hocken ganz still und lächelnd, Tränen laufen über ihre Wangen.

Auch die „Santo-Subito“-Transparente sind an diesem Sonntag wieder zu sehen. Schon am 8. April 2005, bei der Beerdigung Johannes Pauls II., hatten sie für Furore gesorgt. Eine Heiligsprechung verlangen die Verehrer des Papstes, damals wie heute. Und zwar subito, sofort!

Johannes Paul II. liegt während der Messe zu seinen Ehren im Inneren des Petersdoms, im schlichten Sarg, bewacht nur von ein paar Schweizergardisten.

„Warum wir da sind? Das fragen wir uns auch“, scherzen drei junge Frauen aus Mailand, die vor dem Gottesdienst etwas zerzaust in einer Ecke des Petersplatzes liegen. Um überhaupt einen Platz bei der Seligsprechung zu ergattern und um gleich morgens um 5.30 Uhr bei der Öffnung des Areals dabei sein zu können, haben sie schon die Nacht auf der Straße zugebracht, mehr wachend als schlafend.

Viele Tausende taten es ihnen gleich – weich gebettet auf Johannes Paul II. sozusagen: Die römische Lokalzeitung „Il Messaggero“ hatte einen dicken, reich bebilderten Sonderdruck zum Fest freundlicherweise schon am Abend verteilt. Was als Lektüre für die Massen gedacht war, diente als Schlafunterlage. Die Straßen um den Petersplatz sind am Sonntagmorgen ein Fetzenmeer.

„Wir mussten einfach kommen. Wir wollten und wir mussten Johannes Paul II. Danke sagen“, erzählen die jungen Frauen. „Er ist ja unser Leben, wir haben keinen anderen Papst gekannt, wir sind mit ihm aufgewachsen, von ihm haben wir unseren Glauben.“ Eine sagt: „Beim Weltjugendtag 2000 habe ich ihn aus der Nähe gesehen. Sein gütiger, eindringlicher Blick hat mich nicht mehr losgelassen.“

Zwischen Stapeln von Mineralwasserflaschen und den im Kubikmeter-Pack angelieferten Begleittexten zur Liturgie haben sich drei Mexikanerinnen niedergelassen. Seit Ostern sind sie schon in Rom, um die Seligsprechung sicher mitfeiern zu können. „Aber heilig oder nicht“, sagt eine, „für mich ist Johannes Paul II. vor allem ein Freund. Wenn ich an ihn denke oder wenn ich sein Grab besucht habe – immer habe ich das Gefühl, er umarmt mich und sagt, komm, es ist alles nicht so schlimm, ich bin ja bei dir.“ Und nun, sagt die Frau, „sind wir hier, um ihn zu bitten, dass das auch so weitergeht“.

Sizilianer, Franzosen, Kroaten, Spanier – sie alle sprechen von Dankbarkeit, und es ist, als ob alle an diesem Morgen auch ihr eigenes Leben feiern, ihr religiöses zumindest: Angereist ist die „Generation Johannes Paul II.“, für die er der Inbegriff eines Papstes und der Kirche schlechthin ist. Immerhin 26 Jahre, fünf Monate und 17 Tage dauerte sein Pontifikat und zwischen den Säulen von Berninis Kolonnaden erinnern Riesenplakate die Pilger an die vielen Stationen dieses drittlängsten Pontifikats in zweitausend Jahren Kirchengeschichte.

Die Galerie beginnt am 16. Oktober 1978, als der erste polnische Papst Karol Wojtyla von der Loggia des Petersdoms aus die Italiener gewann mit den Sätzen: „Ich komme aus einem fernen Land. Noch spreche ich eure, unsere Sprache nicht so gut. Aber wenn ich Fehler mache, dann korrigiert ihr mich.“

Gleich folgt diesem Bild die dramatische Schwarzweiß-Aufnahme vom Attentat am 13. Mai 1981, und dann kommen alle möglichen bunten Fotos von den 104 Auslandsreisen des „Eiligen Vaters“ – eines mit der Kulisse des Brandenburger Tors –, schließlich das Bild vom 2. April 2005, das einzige mit erklärendem Text: „Der Heilige Vater ist eingetreten ins Licht des Herrn.“

Nur sechs Jahre später, nach einem Seligsprechungsprozess von kirchenrechtlich eigentlich nicht zulässiger, historisch nie dagewesener Schnelligkeit, steht Benedikt XVI. unter den mächtigen Pfeilern des Petersdoms. „Wir“, verkündet er im alten, rituellen Papststil, „wir mit unserer apostolischen Autorität erlauben es, dass der verehrungswürdige Diener Gottes Johannes Paul II. selig genannt wird.“

Joseph Ratzinger ist nicht bloß einer von der Million Feiernden, die Johannes Paul II. persönlich erlebt haben – 23 Jahre lang war er als Präfekt der Glaubenskongregation sogar einer seiner beiden führenden Mitarbeiter und dass Wojtyla nun ein Seliger ist, liegt zum Teil an ihm. Denn dafür, dass das gestrenge Seligsprechungsgericht in Johannes Pauls Schriften und Predigten nichts gefunden hat, was der katholischen Lehre widerspräche, ist Ratzinger verantwortlich: Über seinen Schreibtisch sind praktisch alle Wortmeldungen des Papstes gelaufen. Sogar nach Johannes Pauls Tod, vor der Archivierung der letzten Schriften, hat Ratzinger sie bis zur Kommasetzung auf Rechtgläubigkeit durchleuchtet und redigiert.

Jetzt ist er selbst, Benedikt XVI., der erste Papst der Neuzeit, der seinen unmittelbaren Vorgänger seligspricht. „Cäsarismus, Zustände wie im alten Rom“, schimpft von Deutschland aus Ratzingers theologischer Rivale Hans Küng. Der Papst selbst äußert sich in der Predigt nur äußerst knapp, in eher formaler und kaum erklärender Weise über sein Verhältnis zum neuen Seligen. Er spricht von dessen „spiritueller Tiefe“, dem „Reichtum seiner Intuition“ und „seinem beispielhaften Beten, das mich immer berührt und erbaut hat.“ Mehr nicht. Keine konkreten Erlebnisse, keine Episoden aus 23 Jahren Zusammenarbeit.

Solche beispielhaften Geschichten hätte am Vorabend der Seligsprechung jene große Show- und Gebetsnacht liefern sollen, zu der rund 200 000 Pilger – unter ihnen nur wenige Deutsche – in den römischen Circus Maximus gekommen waren. Zehntausende von Kerzen, sanfte Musik, Frömmigkeit und Romantik, vom Fernsehen live übertragen in angeblich hundert Länder. Vielleicht wäre das sogar im Sinn des letzten Papstes gewesen, der die Medien so berechnend einsetzte wie keiner vor ihm.

Doch da, im Circus Maximus, bleiben ausgerechnet jene Personen recht still, die Wojtylas Bild in der Öffentlichkeit mitgeprägt und – wie man ihnen immer noch anlastet – das Leiden seiner letzten Monate „vermarktet“ haben: Pressesprecher Joaquin Navarro-Valls und Wojtylas persönlicher Sekretär über vier Jahrzehnte, Stanislaw Dziwisz. Ein „großer Mann des Gebets“ sei Johannes Paul II. gewesen, sagen sie und nicht viel mehr.

Dann tritt Marie Simon–Pierre Normand auf. Die französische Ordensfrau hat etwas erlebt, von dem sie mit fester Stimme und ohne jede Frömmelei erzählt: ein Wunder. Die heute 50-Jährige ist Kronzeugin im Seligsprechungsprozess. Dass sie ein paar Wochen nach Johannes Pauls Tod und nach heftigen Gebeten an ihn von einer aggressiven Form der Parkinson-Krankheit genesen ist, buchstäblich über Nacht und medizinisch unerklärlich, das hat Papst Benedikt XVI. als Wunder anerkannt, als letzten, unfehlbaren Beweis für das himmlische Weiterwirken Johannes Pauls II. Als notwendige Voraussetzung für eine Seligsprechung.

Beim großen Gottesdienst am Sonntag tritt Marie Simon-Pierre nochmals auf. Feierlich trägt sie jene silberne Ölbaum-Skulptur zum Altar, in die – zur Reliquienverehrung – eine Ampulle mit dem Blut Johannes Pauls II. eingearbeitet ist. Sie ringt mit der Fassung. Schließlich starb der Papst an jener Krankheit, von der sie sich selbst geheilt sieht.

Rund drei Stunden dauert die Zeremonie. Als sie beendet ist, beginnt sich die Masse zu bewegen. Zum Eingang des Petersdoms, zum Sarg des Seligen. Die Kirche, kündigte der Vatikan an, soll „bei Bedarf“ die Nacht über geöffnet bleiben.

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