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Ein Universum unter vielen. Der Physiker Stephen Hawking vertritt die These, dass das Universum, das wir kennen und in dem wir leben, nur eines von unzähligen ist, jedes mit seinen eigenen Gesetzen.

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Neues Buch "Der große Entwurf": Warum Stephen Hawking Gott für überflüssig hält

Viele Welten und kein Gott: Thomas de Padova über Stephen Hawkings jüngstes Buch "Der große Entwurf", in dem der Astrophysiker den Ursprung des Universums erklärt.

Es war sein drittes Jahr als Doktorand in Cambridge. Stephen Hawkings Physikerkollegen diskutierten lautstark darüber, was mit einem Stern geschehen würde, dessen Brennstoff aufgezehrt wäre. Soeben hatte sie der junge Kosmologe Roger Penrose mit neuen Ideen zu schwarzen Löchern konfrontiert.

Kollabierende Sterne? Hawking war aufgeregt. Er befasste sich zwar gerade mit dem umgekehrten Problem, der Expansion des Universums. Aber in seinem Kopf kehrte sich die Richtung der Zeit einfach um. Sollte es möglich sein, Penroses mathematisch anspruchsvolle Berechnungen zum Sternenkollaps auf den Anfang des Universums zu übertragen? „Wenn die klassische Relativitätstheorie richtig ist, dann muss in der Vergangenheit tatsächlich eine Singularität existiert haben, die der Beginn der Zeit war“, erinnerte sich Hawking später an seine Erkenntnis.

Die Frage nach dem Ursprung des Universums hat ihn seit Mitte der 60er Jahre nicht mehr losgelassen. Gerade ist sein jüngstes Buch „Der große Entwurf“ erschienen, das er zusammen mit dem Physiker Leonard Mlodinow verfasst hat. Und prompt meldet sich Roger Penrose wieder zu Wort, der seinerzeit einen kritischen Blick auf Hawkings Doktorarbeit warf. Diesmal fällt sein Urteil weniger gut aus. Es klingt eher wie – durchgefallen.

Beide, Penrose und Hawking, haben über schwarze Löcher geforscht. In diesen exotischen Gebilden fließen zwei Theorien ineinander, die bis heute unvereinbar sind: Relativitätstheorie und Quantenphysik. Mit Hilfe der Relativitätstheorie lässt sich erklären, wie schwarze Löcher den sie umgebenden Raum krümmen und warum Materie in ihrem Schlund verschwindet. Dagegen beschreibt die Quantenmechanik die Welt im Kleinen. Aus ihr sollte deutlich werden, wie sich Materie im Inneren von schwarzen Löchern auf engstem Raum verdichtet.

Penrose und Hawking scheinen wie zwei Quantenobjekte miteinander verknüpft: Wenn einer von ihnen je den Physik-Nobelpreis erhalten sollte, dann wohl kaum ohne den anderen. Beide haben das moderne Verständnis der Relativitätstheorie maßgeblich geprägt. Aber unter anderem in der Deutung der Quantenphysik unterscheiden sich ihre Konzepte voneinander.

Der Name Penrose fehlt in dem nun erschienenen großformatigen Buch erstmals. Man erfährt nichts über Hawkings Werdegang. Auch nicht über Zeitreisen und Wurmlöcher, die viele Leser seiner vorherigen Bücher bannten. Es enthält wenig Physik und eine gute Portion Humor, ist leichter zugänglich als der Bestseller „Eine kurze Geschichte der Zeit“ und mit Illustrationen gespickt.

Hawking und Mlodinow halten sich nicht lange mit der Begründung von Thesen auf. Nur an der Quantenphysik kommen sie nicht vorbei. Ihre Erläuterungen hierzu sind eingängig. Auf wenigen Seiten verdeutlichen sie den Unterschied zwischen Fußbällen, die auf eine Torwand geschossen werden, und Elektronen, die auf eine Torwand en miniature zufliegen. Elektronen verhalten sich in diesem Experiment nicht wie klassische Teilchen. Sie laufen wie Wasserwellen auf die Wand zu. Hinter den beiden Öffnungen zeigt sich das Interferenzmuster zweier ineinander fließender Wellen.

Verschiedene Universen, jedes von ihnen mit eigenen Gesetzen

Dass die Bahn eines Elektrons nicht existiert, legt Heisenbergs Unbestimmtheitsrelation nahe: Ort und Geschwindigkeit können nicht gleichzeitig scharfe Werte annehmen. Wie lässt sich der Prozess dann beschreiben? Der Physiker Richard Feynman löste dieses Dilemma mit einem mathematischen Trick: Elektronen verhalten sich so, als würden sie alle nur denkbaren Bahnen beschreiten, jede mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit.

Hawking ist nicht der erste Forscher, der all diese Möglichkeiten, die in der quantenmechanischen Beschreibung enthalten sind, ernst nimmt. Aus der Summe aller möglichen Geschichten des Elektrons werden so Elektronen in verschiedenen Parallelwelten. Diese Viele-Welten-Interpretation überträgt er anschließend in die Quantenkosmologie. Er analysiert das ganze Universum mit Feynmans Methode, nachdem er zuvor in einem nicht weniger kühnen Kniff die störende Urknall-Singularität beseitigt hat. In dieser Version hat das Universum nicht nur eine Geschichte, sondern viele sich überlagernde.

Die nur angerissenen, zugespitzten Thesen machen die Lektüre kurzweilig. Wie kontrovers in der Fachwelt über Einzelaspekte diskutiert wird, erfährt der Leser nicht. Insofern unterscheidet sich Hawkings Werk von Penroses Buch „Das Große, das Kleine und der menschliche Geist“. Penrose stellte darin zumindest die unterschiedlichen Interpretationen der Quantentheorie und ihre Protagonisten vor. Aber auch seine Hypothese war gewagt: Die Quantentheorie wäre grundlegend für das Verständnis des menschlichen Bewusstseins.

Dies konnte inzwischen zumindest teilweise geprüft und widerlegt werden. Unser Gehirn ist so hochgradig vernetzt, dass Wechselwirkungen mit der Umgebung die typischen quantenmechanischen Effekte, wie sie in isolierten Laborsystemen beobachtet werden, rasch zunichte machen. Zwar ist die Kommunikation zwischen Neuronen unglaublich schnell: Sie verläuft in Bruchteilen von milliardstel milliardstel Sekunden. Doch wie der Physiker Max Tegmark vor wenigen Jahren berechnete, verschwinden quantenmechanische Überlagerungen noch sehr viel schneller. Die Funktionsweise des Gehirns sollte sich also mit den Begriffen der klassischen Physik umschreiben lassen.

In einem kritischen Kommentar zu Penroses Buch schrieb Hawking damals: „Ich glaube, dass physikalische Theorien lediglich von uns konstruierte mathematische Modelle sind und dass es sinnlos ist, danach zu fragen, ob sie der Wirklichkeit entsprechen, allenfalls, ob sie Beobachtungen vorhersagen können.“ Das Modell vom Quanten-Bewusstsein überzeugte ihn nicht. Penrose konterte nun: „Für die M-Theorie gibt es bisher überhaupt keine Stütze durch Beobachtungen.“

Die M-Theorie ist laut Hawking „die vereinheitlichte Theorie, die Einstein zu finden hoffte“. Sie sei der einzige Kandidat für eine vollständige Beschreibung des Universums. Die M-Theorie hat sich aus der Vorstellung entwickelt, dass die kleinsten Strukturen nicht punktförmig sind, sondern winzige Fäden, Strings. Sie schwingen wie die Saiten einer Gitarre und bestimmen so die Eigenschaften der Elementarteilchen.

Schon lange versuchen Physiker, mit Hilfe der Strings sämtliche Naturgesetze in eine Form zu pressen. Stringtheorien benötigen dazu zehn oder elf Dimensionen, wobei angenommen wird, dass diese Dimensionen winzig, zusammengerollt und daher unsichtbar sind. Eine krabbelnde Ameise mag einen Strohhalm als zweidimensionale Röhrenwelt erleben, für uns sieht er aus der Distanz aus wie eine eindimensionale Linie.

Einstweilen konkurrieren zahllose Varianten der Stringtheorie miteinander. Für Hawking sind sie allesamt Näherungen einer einzigen fundamentalen Theorie: der M-Theorie. Diese lässt verschiedene Universen zu, jedes von ihnen mit eigenen Gesetzen. „Ihre Schöpfung ist nicht auf die Intervention eines übernatürlichen Wesens oder Gottes angewiesen“, so Hawking. Vielmehr sei diese Vielfalt eine natürliche Folge der physikalischen Gesetze.

Und wie gut ist nun die M-Theorie? Ist sie mehr als Glaubenssache? Ist Penroses Kritik berechtigt? Bemerkenswerterweise geben Hawking und Mlodinow in ihrem Buch selbst einen Bewertungsmaßstab vor. Demzufolge ist ein Modell gut wenn es:

a) elegant ist

b) nur wenige willkürliche Elemente enthält

c) mit vorhandenen Beobachtungen übereinstimmt

d) detaillierte Vorhersagen über zukünftige Beobachtungen macht.

Dass die M-Theorie diesen Maßstäben genügt, wagen selbst die Autoren nicht zu behaupten. Doch sollte sie eines Tages bestätigt werden, „dann haben wir den Großen Entwurf gefunden“.

Stephen Hawking & Leonard Mlodinow: Der große Entwurf. Eine neue Erklärung des Universums. Rowohlt Verlag, Reinbek 2010. 192 Seiten, 24, 95 Euro.

Thomas de Padova schreibt über wissenschaftliches Themen für den Tagesspiegel. 2009 erschien sein Buch "Das Weltgeheimnis: Kepler, Galilei und die Vermessung des Himmels".

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