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Kultur: Gleichgeschlechtliche Ehe: Hau ab, Ödipus

Ob sie selbst die Ehe für eine sinnvolle Einrichtung hält, braucht man Judith Butler gar nicht erst zu fragen: "Meine Partnerin sagt immer, dass sie sich von mir scheiden lässt, falls ich versuchen sollte, sie zu heiraten." Fall erledigt.

Ob sie selbst die Ehe für eine sinnvolle Einrichtung hält, braucht man Judith Butler gar nicht erst zu fragen: "Meine Partnerin sagt immer, dass sie sich von mir scheiden lässt, falls ich versuchen sollte, sie zu heiraten." Fall erledigt. Alles andere sind politische Aspekte dieser Institution und deren legalistische Konsequenzen. Die Ehe ist für die im kalifornischen Berkeley lehrende Gender-Theoretikerin etwas staatlich Sanktioniertes, das dem Schutz des Individuums dient, der möglichen Durchsetzung von Rechtsansprüchen - und der öffentlichen Anerkennung. Gerade in den USA, wo die Gesundheitsfürsorge an den Ehestand gekoppelt ist, kann das schnell existenziell werden. So unromantisch denken Heterosexuelle selten, schon auf Grund kultureller Codes. In Bezug auf die öffentliche Anerkennung sind sie als Teil der Mehrheit aber zugleich bescheidener als Menschen in gleichgeschlechtlichen Verbindungen.

Judith Butler ist jedenfalls nicht der Typ Wissenschaftlerin, die ihren Überlegungen gerne ein empirisches, geschweige denn persönliches Rückgrat einziehen würde. Wobei es nicht darum ginge, Privates auszubreiten, sondern der Ausweitung des Ehebegriffs zu dem der Familie eine gewisse Tiefe zu geben: Von einer lesbischen Adoptivmutter, die die Idee ödipaler Strukturen ablehnt, würde man schon gerne erfahren, wie es um alternative Besetzungen steht - und welche Art von Kinderwunsch sich in schwul-lesbischen Beziehungen manifestiert.

Butler ist immer noch ein akademischer Popstar, und wer sie erlebt, weiß, warum: Sie springt einen an mit ihrer Präsenz, ihrer Intelligenz und ihrem Charme. Und wie sie am Donnerstagabend hinter dem Redepult der Berliner American Academy auf- und abspazierte, mit der rechten Hand nachdenklich an ihrem Kinn zupfte, ein wenig den nutty professor gab, um gleich darauf in Gesten und Gedanken zu explodieren, sah sie in ihren schwarzen, überweiten Herrenhosen ein bisschen aus wie Groucho Marx.

"Is kinship always already heterosexual?" - fragte sie: Sind verwandtschaftliche Strukturen immer schon heterosexuell geprägt? Natürlich lautet ihre Antwort: Nein. Butler ist Kulturalistin durch und durch. Das heißt: Sie leugnet biologische Tatsachen nicht, erklärt sie aber für kulturell so überformt, dass sich keinerlei Urtext mehr entziffern lässt. Aber das macht die Sache nicht leichter. Denn es geht nicht nur darum, den anthropologischen Strukturalismus eines Claude Lévi-Strauss, der die Ursprünge kultureller Systeme in binären Prinzipien wie weiblich/männlich erkennt, poststrukturalistisch auszuhebeln. Es ist auch nötig, einen von wesentlicheren Momenten bestimmten Kulturbegriff zu formulieren.

In Sachen Homosexuellenfamilie zieht Judith Butler auch eine Parallele zwischen Xenophobie und Homophobie: In beiden Fällen bildeten sich Menschen ein, die vertraute Kultur vor Eindringlingen schützen zu müssen. Wer soll das verhindern? Einerseits geriert sich Butler dem Staat gegenüber als Anarchistin, andererseits braucht sie seinen Schutz. Seine Geschichten will sie nicht.

Für Erinnerungen an ihre Herkunft, wie sie Kinder haben wollen, bevor die Reproduktionsmedizin ins Spiel kam, können nur die Eltern selbst sorgen. Da hilft dann nur die nackte Wahrheit. Was das langfristig bedeutet, weiß erst die übernächste Generation.

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