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Kultur: Gleichzeitigkeit der Geister

40 Jahre „Text + Kritik“: Eine Institution feiert Geburtstag

„Viele Germanisten und ein Holzkaufmann“, hieß es im Februar 1963, steckten hinter den Machern der neuen Literaturzeitschrift „Text + Kritik“. Für fünf DM „Gewerbeeröffnungsgebühr“ hatte der 22-jährige Göttinger Jura- und spätere Germanistikstudent Heinz Ludwig Arnold einen Selbstverlag gegründet. Es muss dieser Schuss Realismus im Schöngeistigen sein, der Heinz Ludwig Arnolds Lebensprojekt dessen Konstanz garantiert und es in diesen Tagen das vierzigste Jubiläum feiern lässt.

Der Holzkaufmann aus Glücksburg hieß Gerd Hemmerich und schrieb zuweilen an Ernst Jünger. Heinz Ludwig Arnold wiederum hielt sich Anfang der sechziger Jahre als „Feriensekretär“ Jüngers in Wilflingen auf. In dieser Funktion beantwortete er auch die Briefe Hemmerichs – der Beginn einer produktiven Freundschaft, denn der Kaufmann und Redakteur in spe kümmerte sich um den Druck der Zeitschrift. 1500 Stück der Nummer 1/63 über Günter Grass holte der andere „Text + Kritik“ Redakteur Lothar Baier dann persönlich im Leukoplast-Bomber in Flensburg ab und fuhr sie nach Göttingen, wo er vom Herausgeber wie ein Held empfangen wurde. Doch was nützt eine famose Idee ohne ausreichende Finanzierung. Auch in diesem Punkt wurde der Autor der „Marmorklippen“ unwissentlich zum Taufpaten des progressiven Projekts: Mit dem imposanten Absender „Heinz Ludwig Arnold c/o Ernst Jünger, Wilflingen“ bat der Feriensekretär Arnold Jüngers Freunde aus der Industrie, Anzeigen in „Text + Kritik“ zu schalten – und erhielt unter anderem einen großzügigen Scheck von HAPAG-Lloyd.

Damit war der Grundstein gelegt, und so findet sich im ersten Heft beispielsweise die gediegene Anzeige eines Karlsruher Haushaltsgeschäfts: „Über 150 Jahre im Dienst von Hausfrau und Handwerk“. Vierzig Jahre im Dienst der Literatur und ihrer Kritik, monothematisch nach Autoren geordnet, ergänzt durch Schwerpunkthefte, demnächst zum Phänomen Pop-Literatur – an diesem innovativen Erfolgsrezept haben Arnold und sein wechselndes Redaktionsteam immer festgehalten. Auf Grass folgte Hans Henny Jahnn (dessen Lektüre bei Arnold zu einer geistigen Abnabelung von Jünger führte), dann Günter Eich, Ingeborg Bachmann, Robert Walser bis hin zu Henry James.

Diese durch persönliche Interessen und Leidenschaften bestimmte Gesamtschau von literarischer Gegenwart und Vergangenheit wurde im Lauf der Jahre zum „Einüben in die Gleichzeitigkeit der Geister“, wie es Durs Grünbein bei der hochgestimmten Jubiläumsfeier für die „kritische Kinderstube der deutschen Gegenwartsliteratur“ im Deutschen Theater in Göttingen nannte. Unter Diaprojektionen, die den Hut- und Pfeifenfreund Heinz Ludwig Arnold durch die Jahrzehnte als Genie der Gastlichkeit und des Gesprächs zeigten, erinnerten sich Weggefährten und „Opfer“, das heißt, mit „Text+Kritik“-Heften bedachte Autoren wie Jürgen Becker, Hans Joachim Schädlich und Robert Gernhardt an Anekdoten mit dem charmanten und gekonnt anmaßenden geisteswissenschaftlichen Existenzgründer; Herta Müller etwa an einen Tanz mit „diesen großen Rehaugen im kleinen Baumwollmantel“.

Eines sei ihm immer wichtig gewesen, sagte Heinz Ludwig Arnold: Als freiberuflicher Tantiemenbezieher ein freier Mensch zu sein. Und in einer Zeit, in der es nur noch Bücher und immer weniger Literatur gibt, wie er kürzlich monierte, ist ihm am Redaktionsort Göttingen noch ein zweiter Streich geglückt: die Gründung des Literarischen Zentrums. Dort treten sie alle auf: die Dichter, Schriftsteller, Zwischenschriftsteller, Dichter-Darsteller und Schriftsteller-Darsteller. An dieser fünfstufigen Einteilung des Literaturbetriebs, die der junge Publizist vornahm, hat sich in vierzig Jahren nichts geändert. Das „Text + Kritik“-Heft Nummer 157, im Januar erschienen, widmet sich Peter Huchel.

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