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Wie bei Bolles im Biergarten: Freiluftidylle 1952, vielleicht zu Pfingsten, vielleicht in Pankow.

© Imago

Glosse zu Pfingsten: Pfingsten in Pankow

Pfingsten heißt in Berlin vor allem: Bolle! Unser Autor entdeckt dieses Stück traditionellen Berliner Liedguts wieder - und macht eine geradezu visionäre Entdeckung.

Warum der kommende Montag ein Feiertag ist? Bei einer Straßenumfrage könnten die allermeisten Berliner das wohl aus der Lamäng nicht wirklich präzise erklären. Das passende Lied zum Fest kennen sie aber garantiert: "Bolle reiste jüngst zu Pfingsten". Nach Pankow natürlich war sein Ziel, das damals, um 1900, als der Gassenhauer entstand, noch vor den Toren der preußischen Boom-Metropole lag und eines der Ausflugsziele des kleinen Mannes war.

Voll ist es an langen Wochenenden in Pankow heute noch, im Jewühl kann da schon mal der Jüngste verloren gehen. Mit dem glücklichen Unterschied, dass heute dank Mobiltelefonie kein Erziehungsberechtigter dem Stammhalter lange nachspüren muss.

Schonungslos spricht das Lied in der nächsten Strophe Gentrifizierungsprobleme an: "In Pankow jab’s keen Essen, in Pankow jab’s keen Bier!" Touristenströme und Zugezogene sorgten also auch vor 120 Jahren für Engpässe in der Gastronomie. Bolle ohne Molle - und dennoch lässt er sich seine Laune nicht verderben: Das ist hierzulande in der Tat wert, besungen zu werden.

Visionär wie Bolle

Bei dem Titelhelden, der sich so prächtig amüsiert, handelt es sich nicht um den legendären Milchwagenfahrer und Glockenbimmler Carl Bolle. Vielmehr, so erklären Sprachwissenschaftler den Fall, war Bolle einst der gebräuchliche Begriff für eine nicht näher bestimmte Person. Es geht hier also um den stinknormalen Berliner Jedermann. Und weil man zur Zwiebel im Brandenburgischen auch Bolle sagt, ergibt sich schließlich sogar noch ein Bezug zum Christenfest Pfingsten. Auch die heilige Dreifaltigkeit ist ja schließlich eine vielschichtige Angelegenheit...

In der Schönholzer Heide, so weiß das Lied weiter, lässt sich unser knollnasiger Kleinbürger in eine Keilerei verwickeln, kehrt darum, mächtig lädiert, erst im Morgengrauen nach Hause zurück - und wird zu allem Überfluss auch noch von seiner Gemahlin verdroschen. So was soll es auch heute noch geben. Überhaupt entdeckt der von mannigfaltiger Unbill geplagte Hauptstädter in dem Opus von anno dazumal überraschende Bezüge zu seiner Lebensrealität. Hat sich denn wirklich so wenig geändert im Berliner Gemeinwesen seit den Tagen von Wilhelm Zwo?

Die finale Strophe des Grölgesang-Evergreens klingt gerade in diesen Streiktagen der Lokführer wirklich visionär: "Und Bolle wollte sterben, er hat sich’s überlegt: Er hat sich auf die Schienen / der Bimmelbahn gelegt. Die Bahn hatte Verspätung - und 14 Tage druff, da fand man unser’n Bolle als Dörrjemüse uff."

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