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Kultur: Glück des Anfangs

Regisseur Radu Mihaileanu über „Geh und lebe“

Herr Mihaileanu, Ihr Film erzählt von einer weitgehend vergessenen Episode der Zeitgeschichte. Was gab den Anstoß?

Ich habe mit „Zug des Lebens“ 1999 das Los Angeles Jewish Film Festival eröffnet. Beim Dinner saß ich neben einem jungen Schwarzen – einem äthiopischen Juden und Israeli. Er hat seine ganze Familie verloren, auf dem Weg vom Sudan nach Äthiopien. Ein großes menschliches Drama des 20. Jahrhunderts.

Israel rettete mit der „Operation Moses“ Mitte der achtziger Jahre Tausende von äthiopischen Juden vorm Hungertod. Wie wurden sie aufgenommen?

Alle sprachen zwar über die wunderbare Aktion, und wie diese Menschen Juden wurden. Aber niemand hat sich damit beschäftigt, wie sie sich tatsächlich in Israel fühlten. Sie waren zwar glücklich, weil sie immer nach Jerusalem wollten – seit dem 13. Jahrhundert hieß es: „Nächstes Jahr in Jerusalem“ –, aber sie waren auch sehr verloren.

Die äthiopischen Juden hatten den Traum, sie kommen auf Flügeln in dieses Jerusalem. Und dann steigen sie, profan und passend, ins Flugzeug und landen in Israel.

Die Flügel: Das ist Mythologie. Nur: Wie mischt man Mythologie mit Realität? Also haben wir die Ankunft in Israel in Cinemascope gedreht. Und dann, in Israel, haben wir mit Handkamera gedreht, sehr nah an dem Jungen dran, auf Augenhöhe. Damit man die Wirklichkeit mit seinen Augen sieht.

Sie hätten auch dokumentarisches Material einblenden können.

Am Anfang des Films tue ich das auch, als Prolog. In 90 Sekunden erkläre ich, wer sind die äthiopischen Juden, wie sind sie dort hingekommen, was ist ihre Geschichte. Eigentlich hasse ich es, Fiktion und Dokumentation zu vermischen. Emir Kusturicas „Underground“ zum Beispiel benutzt – mitten im Balkan-Krieg! – dokumentarisches Material, nur um zu behaupten: Die Serben waren Patrioten und Nazi-Hasser, und die Kroaten haben mit den Nazis kollaboriert. Das ist Manipulation. Oder Benigni: In „Das Leben ist schön“ zeigt er das Lagertor von Birkenau, und dann erzählt er ein Märchen. Solche Vermischungen hasse ich.

In Ihrem Film „Geh und lebe“ ist Israel ein rassistisches, fremdenfeindliches Land.

Da muss ich widersprechen: Immerhin haben die Israelis die äthiopischen Juden aufgenommen, sie haben ihr Leben im Sudan riskiert, um sie dort rauszuholen. Es war die teuerste Immigration, die Israel je veranstaltet hat. Und die komplizierteste: Die Israelis mussten den Einwanderern alles langwierig beibringen – zum Beispiel, wie ein Scheck funktioniert.

Warum aber werden die äthiopischen Juden zunächst nicht als Juden anerkannt?

Natürlich gibt es Rassisten, besonders unter den streng religiösen Juden. Das Großrabbinat hat nicht akzeptiert, dass die schwarzen Äthiopier Juden sind: Dem orthodoxen Glauben zufolge vererbt sich das Judentum über die Mutter, und die Königin von Saba, von der die äthiopischen Juden sich herleiten, war keine Jüdin. Für die äthiopischen Juden aber zählt der Vater. Schizophren: In Äthiopien wurden sie verfolgt, weil sie Juden waren, und in Israel sagte man ihnen, sie sind keine. Dabei sind sie sehr religiös. Dass sie in Israel ein zweites Mal beschnitten wurden, hat sie tief gedemütigt. Das zeige ich im Film – aber ich zeige auch, dass die meisten Israelis die äthiopischen Juden unterstützten, dass sie für sie demonstriert und protestiert haben. Israel ist eine Demokratie: Da gibt es dumme Leute, und kluge.

Gab es in Israel Proteste gegen Ihren Film?

Als der Film dort im Oktober anlief, sagte ein Bürgermeister in einer kleinen Stadt südlich von Jerusalem, es gebe zu viele äthiopische Kinder in seinen Schulen, die drücken nur das Niveau. Er kündigte an, nur noch 100 solche Schüler zuzulassen. Das ist natürlich Rassismus. Aber alle Zeitungen haben darüber berichtet und ihn kritisiert. In einer dieser Schulen haben wir eine Vorführung organisiert, um den Kindern zu zeigen: Ihr kennt eure Mitschüler nicht, ihr wisst nicht, was sie durchgemacht haben. Und sie haben alle geweint. Der Bürgermeister ist allerdings nach fünf Minuten gegangen.

Hat sich die Situation der äthiopischen Juden in Israel seit 1986 gebessert?

Die Zwangsbeschneidungen haben aufgehört. Aber konvertieren müssen die äthiopischen Juden noch immer, sonst dürfen sie nicht nach Israel. Die jetzt noch kommen, sind vor allem „Falashmora“, d.h. „Juden, die Christen wurden“. Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Juden in Äthiopien gezwungen, Christen zu werden. Es sind noch immer 1700 Juden dort, aber bis zum nächsten Jahr sollen sie alle in Israel sein.

Ihr Film hat eine noch kompliziertere Struktur: Er erzählt von einem christlichen Jungen, der sich als Jude ausgibt, um nach Israel zu gelangen. Die Themen Identität und Verkleidung haben Sie schon in „Zug des Lebens“ beschäftigt.

Alle meine Filme erzählen davon, wie es ist, gleichzeitig innen und außen zu sein, ein Außenseiter in einem anderen Land. Mein Vater hieß Mordechai Buchman, während des Zweiten Weltkriegs änderte er seinen Namen in Ion Mihaileanu – und hatte in Rumänien unter diesem falschen Namen Erfolg, als Journalist und Schriftsteller. Dann kamen die Stalinisten, auch da wäre ein jüdischer Name nicht sicher gewesen. So haben wir seinen – falschen – Namen übernommen. In Frankreich bot mein Vater mir an, den ursprünglichen Namen wieder anzunehmen, Mihaileanu klingt für Franzosen schwierig. Ich habe darüber nachgedacht und entschieden: Wenn ich das tue, töte ich auf eine Art meinen Vater.

Das Gespräch führte Christina Tilmann.

Radu Mihaileanu (47), geboren in Bukarest, drehte 1998 die Holocaust-Komödie

„Zug des Lebens“. „Geh und lebe“ ist sein dritter Spielfilm. Mihaileanu lebt seit 1980 in Frankreich.

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