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Kultur: Glückliche Läuterung

Simon Rattles philharmonische Johannes-Passion

Man hat offenbar gelernt. „Eine barocke Passion ist keine krachbunte Minstrel- Show“, schrieb die FAZ vor vier Jahren, nach der letzten „Johannespassion“ mit Simon Rattle und den Philharmonikern. Nun wagt sich das Orchester von neuem an die frühere und sachlichere der zwei großen Passionen Bachs. Deutlich müht man sich, behutsam zu sein. Es gibt einen Essay in den „Philharmonischen Blättern“ über die Verpflanzung geistlicher Musik in den Konzertsaal. Keine auffällige Positionierung für die Solisten. Und keine Pause, um mitten in der Leidensgeschichte Sekt auszuschenken. So könnte es glücklich ausgehen mit dieser Johannespassion, und zeitweise tut es das sogar.

Denn es wird gesprochen, nicht mehr theatralisch geraunt. In den unprätentiös gesungenen Chorälen, in Thomas Quasthoffs klaren Christusworten oder seinem Arioso „Betrachte, meine Seel“, papieren vor Durchsichtigkeit und umweglos berührend. Auch noch im Klagechor „Ruht wohl, ihr heiligen Beine“, das der fabelhaft aufgestellte, mitunter luftig weiche, dann wieder giftig zischelnde RIAS-Kammerchor (Einstudierung: Daniel Reuss) nun fast mit Ratlosigkeit singt: Seufzer und Klagen, leise zueinander gesagt – und von vorn lässt Sir Simon das Gesprächsgeschehen kontrolliert auseinander fallen. Vor allem aber bleibt dieser Rezitationsabend wegen des exzellenten Mark Padmore als Evangelist in Erinnerung, mit seiner rückgratstarken Stimme und einer fast unschuldigen Empörung über das, was zu schildern ist.

Zu den Begleiterscheinungen des leichten, sprechenden Klangbildes aber, zur Suche nach dem noch vertupfteren Ton, der besonders überraschenden Gewichtung, gehören auch Fehlgriffe. Manchmal demontiert Rattle Bach so sehr, dass dieser französisch impressionistisch klingt und man sich nichts wünscht als eine härene protestantische Wiedergabe. Das „Lasset uns den nicht zerteilen“ klingt nach Tanz auf dem Heuboden. Der viel zu langsam angegangene Eingangschor zwingt die Holzbläser zu künstlich gelängten Phrasen, drängt die Streicher in eine Nicht-Position am Rande der Hörgrenze und lässt die Bässe ihre Impulse nurmehr hauchen. Das wirkt grotesk.

Dass diese Johannespassion mehr work in progress als gültige Interpretation ist, zeigt auch die Auswahl der drei anderen Solisten, des jungen, noch ausstrahlungsfreien Tenors Toby Spence, der Sopranistin Susan Gritton, die in der langen Zeit zwischen ihren zwei großen Arien ihrer wasserhellen Stimme verlustig zu gehen scheint, und des Countertenors Michael Chance, der mit seinem fahl gewordenen Alt und einem papageienartig manierierten Vortragsstil kaum an die eigenen Glanzzeiten anzuknüpfen vermag.

Noch einmal heute, 20 Uhr

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