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Kultur: Glut, Schweiß und Lachen

Von Peter von Becker Aus einem Aschenputtelteam ist eine junge Prinzengarde geworden. Auch wenn die Klinsmannschaft den höchsten Thron doch nicht erstürmt hat – Deutschlands Fußballspieler sind auch in der Niederlage von schieren Kickern zu Königen der Herzen avanciert, ganz kitschfrei, kampfstark und phasenweise auch kunstvoll.

Von Peter von Becker

Aus einem Aschenputtelteam ist eine junge Prinzengarde geworden. Auch wenn die Klinsmannschaft den höchsten Thron doch nicht erstürmt hat – Deutschlands Fußballspieler sind auch in der Niederlage von schieren Kickern zu Königen der Herzen avanciert, ganz kitschfrei, kampfstark und phasenweise auch kunstvoll. Das klingt wie eine Fabel. Deutschland ein Sommermärchen. Aber es hat wie alle guten Märchen einen realen Kern. Denn im Prinzip Klinsmann steckt ein Modell: sicher nicht für jedes politische oder soziale Problem und Phänomen. Doch Jürgen Klinsmanns Geschick und Glück strahlen aus. Dieser jüngste Erfolgstrainer der WM hat ja mit seiner Elf nicht nur einen spielerisch heiteren Rausch auf unseren Straßen und Plätzen und einen souverän selbstverständlichen Umgang mit den nationalen Symbolen bewirkt. Vielmehr: Jürgen Klinsmann hat in Deutschland die friedlichste Revolution seit der Wende geschafft.

Das ist kein Witz. Weil Klinsmann im deutschen Fußball, einem der mächtigsten und symbolträchtigsten Komplexe dieser Gesellschaft, mit neuen Methoden und neuen Köpfen nicht mehr nur an Symptomen kuriert. Sondern Strukturen angreift. So sind seine Reformen zum Beginn einer fußballkulturellen Revolution geworden. Mit Optimismus und Offensivgeist (plus modernstem Fitnesstraining) ist dies allein nicht zu beschreiben. Das Prinzip Klinsmann meint auch: ein anderes Lebens- und Leistungsgefühl. Dabei kommt aus Klinsmanns Wahlheimat tatsächlich ein kalifornisches Moment ins Spiel. You feel good, when you make it better. Das ist eine ganz andere Melodie als die des kalten, technokratisch-ökonomischen Drucks in vielen Bereichen der Gesellschaft. Klinsmann war im runtergewirtschafteten, runtergespielten deutschen Fußball erfolgreich, weil er die bewusste Überforderung zur Methode gemacht und mit einem fast verrückten, aber sagenhaft verführerischen Ziel verbunden hat. Aus Verlierern Sieger, aus Zweitklassigen Weltmeister zu machen.

Nur so funktioniert auch Kunst. Nur so wird aus guten Musikern plötzlich ein Spitzenorchester. Nur mit dem gewollten, gezielten Übersprung bleibt wissenschaftlicher Fortschritt nicht dem Zufall überlassen – nur so bringt man auch bleierne Verhältnisse zum Tanzen. Die beliebte Formel vom „Fördern und Fordern“ könnte zum Beispiel in der Bildungspolitik mehr sein als eine Phrase, wenn statt wehleidig von schulischem Leistungsdruck mit mehr Herz und Härte von Leistung als Lebenschance gesprochen würde.

Man kann in einer komplexen, von widersprüchlichen Interessen getragenen (oder gefesselten) Gesellschaft nicht einfach auf einen fußballrunden Knopf drücken oder einen großen Reformhebel umlegen – auf die Markierung Klinsmann. Doch das Prinzip des Schwabenkaliforniers, nach den Sternen zu greifen, damit sich am Boden etwas bewegt, setzt ein Zeichen. Mit Glut, Schweiß und Lachen. Auch das ist was Neues.

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