zum Hauptinhalt
Bad in den Pixelfluten. Irene Theorin als Brünnhilde.

© Marcus Lieberenz/bildbuehne.de

"Götterdämmerung" an der Staatsoper: Kalt ist dieses Feuer

Die Berliner Staatsoper vollendet mit der "Götterdämmerung" ihren Ring in Wagners Jubiläumsjahr - und führt damit die Oberflächenverödung zu einem Höhepunkt.

Nun ist rechtzeitig zum Wagner-Jahr vollendet, wonach wohl niemand wirklich sehnlich verlangte: Mit der Premiere der „Götterdämmerung“ hat die Staatsoper einen neuen „Ring“ im Spielplan, zu den österlichen Festtagen wird er erstmals komplett erklingen. Damit präsentiert sich das Haus auch außerhalb seiner traditionellen Mauern als der Wagner-Hort, zu dem es Daniel Barenboim – wieder – gemacht hat. Dank des italienischen Koproduktionspartners kann die internationale Wagner-Gemeinde von nun an wählen, ob sie die szenische Zurichtung von Guy Cassiers in Mailand oder Berlin sehen und Barenboim mit dem Orchester der Scala oder der Staatskapelle hören will. Und die Freiheit geht noch weiter: Der künftige „Ring“-Konsument kann auch darüber entscheiden, was er in diesen 16 Stunden eigentlich erkennen will. Jedoch – in den entfesselten Pixelfluten, die sich über sorgsam ausgewählte Materialien ergießen, ist jede Hoffnung ersoffen, hier noch etwas Sinnhaltiges erhaschen zu können. Mit der „Götterdämmerung“ hat die Oberflächenverödung, wie sie Cassiers und sein belgisches Team von Videoartisten und Schattenwerfern praktizieren, konsequenterweise ihren Höhepunkt erlebt.

Was nie zielführend war, kehrt hier zum Exzess gesteigert wieder: Cassiers verfolgt die Idee, einen unbekannten, seit 1899 in Brüssel befindlichen, schwer zugänglichen Monumentalfries des Antwerpener Bildhauers Jef Lambeaux zum Signet von Wagners Tetralogie zu stilisieren. Seit dem „Rheingold“ schleppt die Inszenierung einen in Scheiben gesägten Kunstharzabguss mit sich herum. In Schaukästen geschichtet, die auch als Podien dienen, treten vor allem kräftige, sich windende Gliedmaßen hervor. Zeitgenössische Kritik sollte keineswegs als Maßstab aller Dinge gelten, und doch kommt man nicht darum herum, sie in diesem Fall als treffend zu empfinden. Lambeaux’ Konzept einer weltlichen Antwort auf Michelangelo sei kindisch, urteilte sie. „Es ist gleichzeitig chaotisch und unklar, aufgebläht und anmaßend, pompös und leer“, schrieb damals die Zeitschrift „L’art moderne“. Leider hat sich Regisseur Cassiers mit dem nachgebildeten Fries die gleichen Vorwürfe ins Haus geholt – vor allem den letzteren.

Das Beste an Lambeaux’ gewaltigem Körperzerrbildnis ist zweifellos sein Name, „Les passions humaines“. Nur zu gerne würde man eine von menschlichen Leidenschaften durchpulste „Götterdämmerung“ sehen, in diesen sechs Stunden erleben, wohin es die von den Göttern allein gelassenen Erdlinge reißt: beladen mit dunklem Erbe, ringend mit schon kaum mehr nachvollziehbaren Ritualen und Runen. Ächzend werden immer und immer wieder Scheiben vom Fries auf die Bühne geschoben – und kein Theatergott kann diesem zum Haareraufen ungelenken Treiben ein Ende bereiten. Ob fades Gefummel der Nornen oder mühsames Aufbäumen der Sänger gegen ihre Freiheit entziehenden Kostüme vor dem unentwegten Hintergrundmorphen von Wasser zu Feuer: Musiktheater ist das nicht. Da ist man schon dankbar für unbeabsichtigte Spitzen, wie die sich über Brünnhilde herabsenkenden Speere, die an die Hinterlassenschaften der Vergangenheit erinnern, die gegenwärtig die Heimkehr der Staatsoper ins Haus Unter den Linden verzögern. Pfähle im Sitzfleisch der Bauverwaltung.

Daniel Barenboim hat mit der Staatskapelle zu einer neuen Klangklasse gefunden

„Zu End’ ewiges Wissen!“ Zuschanden kommen muss alles in der „Götterdämmerung“, jegliche Hoffnung schwinden, auf dass die Welt in einen derart erlösungsbedürftigen Zustand gerät, aus dem sie nur noch Wagners stärkstes Gebräu aus treuer Liebe und unbedingter Todesbereitschaft zu reißen vermag. Für einen solchen Kraftakt fehlt es Cassiers und seinen medialen wie choreographischen Einlullerern schlicht an Mumm. Und so verstärkt ausgerechnet das Finale des neuen Hauptstadt-„Rings“ die Vorfreude auf Bayreuth, wo in diesem Jahr ein gewisser Frank Castorf – gottseidank! – sicher nicht allzu zimperlich auf den großen Weltenbrand zusteuern wird.

In Berlin und Mailand hört die Wagner-Welt derweil weiter gebannt auf Daniel Barenboim. Der hat mit seiner Staatskapelle ausgerechnet im Charlottenburger Provisorium zu einer neuen Klangklasse gefunden: Aus dem Graben zaubert er einen oft kammermusikalischen Klang empor. Die Klarheit des „Rheingolds“ und die Dramatik der „Walküre“ gelangen berückend: Der Chef als erster Zuhörer eines perfekt eingespielten Kollektivs, das auf jeden noch so kleinen Fingerzeig sofort reagiert. Der Auftakt zur „Götterdämmerung“ mit ihrer prächtigen Summe aller „Ring“-Musik gerät kaum fassbar wundervoll: Wie aus dem Nichts und zugleich inmitten eines Kontinuums erklingen die ersten Takte, so zart, zugewandt, selbstverständlich. Das schiere Glück. Doch Barenboim zwingt es nicht zum Bleiben. Der Klang bewahrt seine Schönheit, auch wenn immer häufiger Solobläser auf Abwege geraten. Aber die Bedeutung schwindet, ausgerechnet an den großen Wendemarken: Siegfrieds Tod – was heißt diese große Musik eigentlich, wohin führt uns der Trauermarsch? Der Musikdramatiker Barenboim bleibt viele Antworten schuldig an diesem Abend.

Ausbaden müssen das die Sänger, deren Schar ohnehin einen Umbruch im Wagner-Gesang deutlich macht. Doch wer weg will von den großen Stimmen, die überwältigen können, ohne überzeugen zu müssen, muss viel mehr an Details arbeiten – und manche Schwäche liebevoll in eine schlüssige Interpretation überführen. Dann gibt es weniger Buhrufe. Natürlich überragt Iréne Theorins Brünnhilde vokal unangefochten das Ensemble, doch der Verdacht besteht, dass sie noch zu mehr Innigkeit finden könnte. Ian Storeys Siegfried fehlt jugendliche Strahlkraft, er könnte sich als konsequent zubeißender grauer Wolf aber durchaus packender zu Tode bringen lassen. Sieht man Matti Salminen im Publikum aufragen und erlebt dann Mikhail Petrenko als Hagen auf der Bühne, dann weiß man, was große Schuhe sind. Dafür kann Petrenko gequält lachen wie Lars Eidinger, so was macht Salminen nicht. Johannes Martin Kränzle kann seine unbändige Lust auf Grenzcharaktere diesmal konzentriert auf Alberich richten.

Dass zum Schluss, wenn alles neu aufblühen soll, die Szenerie vom kompletten Fries der Verdammten verschlossen wird wie von einem Sargdeckel, ein Liebespaar inmitten des Unheils hell herausgeleuchtet, wird nicht einmal in Mailand reüssieren. Dafür hätte es schon Michelangelo sein müssen. Unterdessen werden neue Wagner-Pläne der Staatsoper bekannt: Sasha Waltz soll zu den Festtagen 2014 „Tannhäuser“ inszenieren. Zumindest kulturpolitisch eine Aussage, die sitzt.

Nächste Vorstellungen am 6. und 10. März. Der erste neue „Ring“-Zyklus ist im Rahmen der Festtage der Staatsoper am 23., 24., 27. und 31. März 2013 zu sehen.

Zur Startseite