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Kultur: Götterdämmerung im Zwergenreich

Der Höhepunkt der "Berliner Republik", des neuen Theaterstücks von Christoph Schlingensief, fand bereits acht Tage vor der Premiere statt.An diesem Tag war Oskar Lafontaine in die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz gekommen, um den Wahlkampf der Berliner SPD zu eröffnen.

Der Höhepunkt der "Berliner Republik", des neuen Theaterstücks von Christoph Schlingensief, fand bereits acht Tage vor der Premiere statt.An diesem Tag war Oskar Lafontaine in die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz gekommen, um den Wahlkampf der Berliner SPD zu eröffnen.Am Rande der Veranstaltung kam es zu einer überraschenden Begegnung.Lafontaine traf Gerhard Schröder und Doris Köpf.Gerhard Schröder trug einen zweireihigen Nadelstreifenanzug und grinste breit wie gewohnt in die Kameras.Doris Köpf stand, versonnen lächelnd, im roten Ballkleid daneben.Schröder schüttelte Lafontaines Hand und sagte: "Vielleicht können Sie uns dabei helfen, die Grenzen zwischen Politik und Theater weiter zu verwischen." Lafontaine grummelte: "Ja, ja." Allerdings handelte es sich nicht wirklich um Schröder und Köpf: sondern nur um Bernhard Schütz und Irm Hermann, die Schröder- und Köpf-Darsteller aus Schlingensiefs Stück.Aber sie machten ihre Sache so gut, daß man sie beinahe für echt halten konnte.Besser war nur noch Oskar Lafontaine.Er klopfte Schultern, feixte und gab noch im dichtesten Gedränge Interviews.Der Politiker spielte ein letztes Mal den Politiker.

Diese Szene mit Lafontaine und den beiden Schauspielern ist genau in der Mitte des Stücks "Berliner Republik", eine Stunde nach Beginn und eine lange, lange Stunde vor dem Ende der Inszenierung, zu sehen.Schlingensief hatte sie mit seiner Digitalkamera aufgenommen und führt sie nun - riesenhaft auf die Bühnenrückwand projiziert - mit dem Stolz eines Videopiraten vor.Die Bilder wackeln.Sonst wackelt leider überhaupt nichts.Schlimmer noch: Es bewegt sich nicht einmal was.Das Licht geht wieder an, und nichts passiert.Die Schauspieler hocken in einer Couchgarnitur, die eine Couchgarnitur in der Berliner Kanzlervilla darstellen soll, und gucken ratlos ins Publikum.Von dort guckt das Publikum genauso ratlos zurück.Die Hysterie, die Schlingensief auch diesmal wieder herzustellen versucht hatte, fällt plötzlich in sich zusammen wie ein Kuchen mit zuwenig Hefe.Totaler Stillstand.Sitz-Theater.Dann erhebt sich Schlingensief und brüllt Regieanweisungen: "Hol doch mal den Anselm! Wo ist Andreas?" Jetzt springen alle auf und beginnen aufgescheucht herumzulaufen.Schröder-Darsteller Schütz hält eine Kanzlerrede, schwadroniert, gestikuliert, zuckt wild, steigert sich immer weiter in eine Art Politiker-Epilepsie hinein und bestäubt sich selber und die Umstehenden mit Babypuder und Kakaopulver.Wagnermusik schwillt an: Götterdämmerung.

"Berliner Republik" soll eine Boulevardkomödie sein.Das kann man schon daran erkennen, daß es in Anna Viebrocks wunderbarem High-Tech-Trash-Bühnenbild sieben Türen, drei Telefone sowie eine große Treppe gibt.Die Türen sind dazu da, dramatisch aufgerissen und zugestoßen zu werden.Wenn Bodo Hombach rechts abgeht, wird links schon Helmut Schmidt im Rollstuhl reingeschoben.Dauernd klingelt das Telefon, man weiß nur nicht, welches.Schröder geht immer zuerst ans falsche, telefoniert mit Müntefering oder Stoiber, knallt den Hörer auf die Gabel und schreit dann "Arschloch!".Die Treppe ist einerseits eine Varieté-Requisite, andererseits aber auch ein Großsymbol für Schröders Aufstieg.Sie verbindet das Untergeschoß, wo Sitzecke und Flügel behagliche Gemütlichkeit verströmen, mit dem Obergeschoß, wo in halbfertigen Ministerialbüros Politik gemacht wird.Auf der Treppe hat Schröder / Schütz gleich nach der Wahl seinen besten Auftritt.Euphorisiert von der Macht springt er treppauf, treppab, jubelt: "Du sollst dich zeigen! Das Volk will dich sehen!", ruft seine Mitstreiter herbei, und zusammen werden sie zu einem pingpongartig herumhopsenden, blödsinnig "Du sollst dich zeigen!" skandierenden Menschenknäuel.Ein Bild fast wie aus einem Marx-Brothers-Film.

Doch Komik ist von Schlingensief nicht beabsichtigt.Das Türenschlagen und Herumgestikulieren, die erheiternden Auftritte eines Martin Walser mit Pornovideos in der Plastiktüte oder eines berlinernden Hauptwachtmeisters namens Schnippel werden ihm schnell wieder langweilig.Er will Kunst, deshalb soll Gerhard Schröder Kunst machen.Der Kanzler inszeniert in den Parlamentsferien Richard Wagners "Ring" in Afrika: Weiß der Teufel, warum.Daß sich Menschen in Anzug und Krawatte durchaus lässig bewegen können, wenn nur die Musik stimmt, ist schon in den afrikanischen TV-Ausschnitten zu sehen, die vor Beginn der Vorstellung über den Vorhang tanzen.Dann erscheinen ein halbes Dutzend schwarzer Komparsen in bunten Gewändern auf der Bühne, und Kanzler Schröder macht sich sofort an ein Mädchen heran.Jetzt aber sind wir plötzlich im dunkel lockenden Kontinent und mittendrin im Wagnerwahn.Wobei Wagner vom Band kommt und Afrika aus dem Projektor.Wackelbilder von Schlingensiefs letzter Namibia-Reise.Christoph in Windhuk.Christoph im Jeep.Christoph mit Buschmännern.Hier wird das Stück endgültig zum pathosüberladenen, psychotherapeutischen Dia-Abend."Ich will meine Angst zurück!" greint Schlingensief.Kann ihm denn keiner helfen?

Wahrscheinlich nicht.Das Problem ist, daß das Schlingensieftheater, das im letzten Jahr unter dem Schlachtruf "Chance 2000" in die Wirklichkeit von Wahlkampf und Wolfgangsee aufgebrochen war, nun nicht einfach auf die Bühne zurückkehren kann."Reißt die vierte Wand in euren Köpfen ein!" ruft der Regisseur.Dabei waren in seiner Chance-2000-Inszenierung doch auch die anderen drei Wände schon gefallen.Als Wahlkämpfer war Schlingensief lebendig.Jetzt wirkt er wie gelähmt.Werner Brecht, Mitstreiter schon der Chance-Kampagne, macht das beste aus der Situation: Während sich vor ihm ein lautes Nichts ereignet, ist er in den Tiefen des Bühnenbildes einfach tief schnarchend eingenickt.

Wieder heute und morgen sowie am 22.und 23.März, 19.30 Uhr

CHRISTIAN SCHRÖDER

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