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Kultur: Göttinnen wollen anders sein

Illusion des Augenblicks: Eine Ausstellung der Berlinischen Galerie zeigt die Wandlungen der Porträtfotografie

Mrs. Melvin J. Lasky war eine hinreißend schöne Frau. Hinreißend schön – und unerreichbar, ein Wesen wie aus einer fernen Galaxie, das im Jahr 1958 vom Himmel gefallen war: In einen weißen Nerzumhang gehüllt, blickt sie in die Kamera und schaut doch durch den Apparat hindurch mit ihren hellen Augen, in denen sich eine unumstößliche Gewissheit verfestigt hat. Diese Frau weiß, dass im Moment der Belichtung alles an ihr stimmt: die kurzen schwarzen Haare zurückgekämmt, der Scheitel wie mit dem Messer gezogen, das Gesicht perfekt geschminkt. Der edle Pelz schmeichelt ihrer Haut, sie trägt Diamanten an den Ohren und am Arm, eine Schulter ist verheißungsvoll entblöst – ein Versprechen, aber natürlich keine Garantie für irgendetwas. In der Hand hält sie einen Dominostein, die Sieben und die Neun, und unweigerlich fragt man sich, was mag das bloß bedeuten? Dass es überhaupt etwas bedeutet, steht außer Zweifel, denn Zweifel sind im Angesicht einer solchen Frau grundsätzlich nicht angebracht.

Im Katalog zur Ausstellung „Fotografische Porträts 1900-1993“, die die Berlinische Galerie jetzt im Kunstforum der Grundkreditbank präsentiert, ist das Foto nicht enthalten. Stattdessen hängt in der Schau wenige Meter von dem ersten entfernt ein zweites Bild der Gemahlin des Publizisten und Historikers Melvin J. Lasky. Es ist ungefähr zehn Jahre später aufgenommen, und erneut war der Hamburger Herbert Tobias der Fotograf. Doch die schöne Frau ist darauf nur mit Mühe wiederzuerkennen. Man sieht eine immer noch sehr attraktive Dame, die dunklen Haare fallen ihr jetzt burschikos offen in die Stirn, sie hat sich dem Betrachter direkt zugewandt und trägt einen einfachen schwarzen Pullover, im Hintergrund kräuselt sich der Rauch ihrer Zigarette im Studiolicht. Man glaubt eine ganz andere Person zu sehen, die nur zufällig denselben Namen trägt. Was ist geschehen, dass sich jemand derart in sein Gegenteil verkehrt? Dass dies lediglich eine Inszenierung sein könnte, so wie schon das erste Bild eine war, darauf ist man nicht gefasst.

Das Auge sieht kein Einzelbild

Solche Verwandlungen schafft nur die Fotografie. Das hat sie in ihrer inzwischen über hundertfünfzigjährigen Geschichte weidlich ausgenutzt. Hätte ein Maler Mrs. Melvin J. Lasky zwei Mal auf so unterschiedliche Art gemalt, man hätte nicht gezögert, ihn für diese Metamorphose verantwortlich zu machen. Bei der Fotografie ist das anders. Ein Foto suggeriert per se Wahrhaftigkeit. Automatisch schreibt man ihm objektive Beweiskraft zu. Das ist der Grund, weshalb man glaubt, dass die Veränderung der Mrs. Lasky keine Veränderung des Bildes von ihr ist, sondern einen grundlegenden Wandel ihrer Persönlichkeit spiegelt.

Dabei ist nichts falscher als das. Von Anbeginn an hat die Porträtfotografie die Menschen in Posen gezwängt, zunächst aus technischen Gründen, dann um mit der Malerei zu konkurrieren, und schließlich, weil sie gemerkt hat, wie überaus erfolgreich sie darin ist. Und das gilt für jedes Genre, ob das nun Künstlerporträts sind, Fotos von Arbeitern, Freunden, Liebhabern oder Staatsmännern. Stets ist die Fotografie in gewisser Weise eine Lüge, eine sanfte zwar, aber immerhin; die Sprache, in der sie lügt, ist vielfältig und reich an Metaphern. Ihr Vokabular sind die Perspektive, der Bildausschnitt, das Licht, der Schatten, der Dialog oder das Schweigen. Und stets hat sie der Realität eines voraus: So wie sie ihre Modelle zeigt, hat sie in Wirklichkeit nie jemand gesehen – nicht einmal der Fotograf selbst.

Steffi Brandls Tänzerin im Seidenkleid, Edmund Kestings Bildnis des Malers Alexander Camaro, der unbekannte Stahlarbeiter von der Saar, den Erna Lendvai-Dircksen verewigte, sie alle waren sich im Moment der Aufnahme der Beobachtung durch die Kamera bewusst und verhielten sich entsprechend, sei es aus eigenem Antrieb, sei es, weil der Fotograf es so wollte. Das Fotografiertwerden ist immer eine Ausnahmesituation – ein Umstand, der sogar auf die so genannten Schnappschüsse zutrifft, das liegt in der Natur der Sache. Die individuelle Wahrnehmung funkioniert nicht in Einzelbildern.

Gleichzeitig ist ihr Fokus sehr viel eingeschränkter als der Fokus einer Kamera. Denn nur die Kamera ist im Stande, eine Bewegung festzuhalten und einzufrieren, dem menschlichen Auge geht diese Fähigkeit ab. Also ist das Bild immer etwas Besonderes, ist immer Produkt einer hoch artifiziellen Vorgehensweise, selbst dann, wenn es banale Alltäglichkeit abzubilden vorgibt.

Zu Boden gehen

Genauso trügerisch ist die Vorstellung, der oder die Porträtierte hätte großen Einfluss darauf, wie er dargestellt wird. „Hélaine war unbeschreiblich schön“, schreibt der Modefotograf Erwin Blumenfeld in seinen 1988 erschienenen Lebenserinnerungen, „doch Göttinnen wollen anders schön sein, wie ich sie sehe.“ Wer sich da am Ende durchsetzte, Blumenfeld oder die bezaubernde Hélaine, dürfte klar sein. Die Macht über das Bild und damit auch über unsere Imagination gibt der Fotograf nicht aus der Hand.

Das Irreführende ist, das man dieser Macht selten gewahr wird. Die Berliner Fotokünstlerin Birgit Kleber begann Ende der Achtzigerjahre, für den Tagesspiegel zu fotografieren. Ihre Porträts zeichneten sich durch dieselbe formale Strenge aus: Der Betrachter sah jedes Mal einen Kopf in Nahaufnahme, der ihm seltsam zugewandt erschien. Man hatte nie den ganzen Kopf vor Augen, sondern lediglich ein Gesicht, dessen Stirn vom Bildrand halbiert wurde. Was man nicht sah, war, dass diese Fotografien buchstäblich unter vollem Körpereinsatz entstanden. Kleber überredete ihre Gegenüber, sich vor der Kamera auf den Boden zu kauern, die Arme um die Knie zu schlingen, um dann mit ihrem Apparat aus dreißig bis vierzig Zentimetern direkt ins Gesicht zu zielen – ein kleines Geheimnis, das die Resultate für sich behielten.

Diese Geheimniskrämerei darf getrost verallgemeinert werden. Die Fotografie hat ihre Motive geformt und den Blick gelenkt, seit sie existiert. Sie ist daher immer eine Augentäuschung, eine notwendige Gaukelei, um einen flüchtigen Moment, den niemand je so gesehen hat, für die Nachwelt aufzubewahren. Es gibt nicht viele Illusionen, denen man so gerne ihre Täuschungen nachsieht.

„Zwiesprache – Fotografische Porträts 1900 bis 1990“ mit Bildern aus den Beständen der Berlinischen Galerie ist täglich außer Montags von 10 bis 18 Uhr im Kunstforum der Grundkreditbank zu sehen. Bis 12. Januar.

Ulrich Clewing

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