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Kultur: Gold für die Nerven

Erholung bei Christie’s und Sotheby’s: Die Sammler zahlen für Zeitgenossen Spitzenpreise

Zwei kalte Londoner Wochen, und die Begeisterung für die heiße Kombination von Kunst und Geld ist wieder da – als habe es nie eine Krise gegeben. Christie’s-Experte Francis Outred verriet nach der Contemporary-Auktion am Donnerstagabend das Erfolgsrezept: „Niedrigere Schätzungen und höhere Qualität, damit hat man fantastische Erfolge.“

Es liegt an der Psychologie des Bietens: Attraktive Schätzungen rufen Bieter auf den Plan, die sich dann gegenseitig in ihrer Begeisterung anfeuern. Bei Neo Rauchs großem Hochformat „Vorrat“ von 1998 kam es dazu nicht. Es war mit 500 000 bis 700 000 Pfund zu hoch angesetzt. Zwar liegt der Rekord für Rauch bei knapp 900 000 Pfund. Doch als er vergangenen Oktober für „Stellwerk“ bewilligt wurde, war dieses Bild auf höchstens 450 000 Pfund geschätzt. Jetzt lag die Taxe sogar über dem zweithöchsten Preis, der je für ein Rauch-Gemälde bezahlt worden ist. Das Bild blieb unverkauft. „Hätten wir es mit 350 000 Pfund angeboten, wäre es über 500 000 Pfund teuer geworden“, sagt Outred.

Die Zero-Sammlung Lenz Schönberg war ein wunderbares Beispiel dafür, wie man es macht. Sie spielte bei Sotheby’s mit 23,2 Millionen Pfund mehr als das Doppelte der unteren Schätzung ein. Diese stimmige, exzellent dokumentierte Sammlung von Werken der frühsten Zero-Periode überzeugte auf dem internationalen Parkett, obwohl vielen Käufern die weniger bekannten Künstler gar nichts sagten. Aber die Qualität der Kunst beeindruckte sie, und die Preiserwartungen schreckten nicht ab.

Gleich beim ersten Los begann das fulminante Bieten. Ein Aluminium-Lamellen-Relief von Heinz Mack war mit 25 000 bis 35 000 Pfund bei der Hälfte des geltenden Höchstpreises angesetzt. Nach wenigen Minuten war das Werk für 205 250 Pfund verkauft. Ein Rauchbild von Otto Piene vervierfachte die Schätzung mit 223 500 Pfund, Günter Ueckers Nagelbild „Haar der Nymphen“ hatte im Nu den bisherigen Höchstpreis von 401 800 Pfund verdoppelt. Los Nummer vier, ein Strukturrelief von Jan Schoonhoven, vervierfachte die Schätzung auf 780 450 Pfund. Und so weiter. Es gab eine Flut von 19 Künstlerrekorden.

Das wichtigste Beispiel für niedrige Schätzungen aber war Giacomettis „Schreitender Mann I“, der drei Jahrzehnte lang im Hauptgebäude der Dresdner Bank stand, wo die Banker in die Konferenz strömen. Sotheby’s hatte zwölf bis 18 Millionen Pfund für die lebensgroße Figur geschätzt – wohl wissend, dass erst im November der 60 cm große „L’homme qui chavire“ schon 20 Millionen Pfund gekostet hatte.

Mit der Größe multipliziert müsste der 183 Zentimeter große „L’homme qui marche“ demnach 60 Millionen Pfund kosten – und so war es auch. Marktbeobachter hatten auf einen Preis von 40 Millionen gewettet, fanden es aber völlig vernünftig, als die Kunstikone mit 65 Mio. Pfund teuerstes Kunstwerk der Auktionsgeschichte wurde – vor Picasso, Rubens, Francis Bacon, Warhol und den anderen. „Es werden zurzeit so viele Privatmuseen gegründet, und so ein Giacometti ist ein spektakuläres Ausstellungsstück. Es gibt genügend Sammler, die dafür die Mittel haben“, weiß der Düsseldorfer Kunstberater Jörg Michael Bertz.

Diese Sammler ließen in den vergangenen zwei Wochen in London 370 Millionen Pfund in den Markt für Moderne und Zeitgenössische Kunst – mehr als doppelt so viel wie im Februar 2009, als allen der Schreck der Krise in den Knochen saß. „Ich habe keinen getroffen, der als Investition kauft“, berichtet Brett Gorvy von Christie’s. „Das sind echte Sammler, die mit Cash kaufen.“

Unter diesen echten Sammlern war ein Schweizer Paar, dass sich in der Sammlung Lenz auf Yves Klein konzentrierte. Es bezahlte für das Blattgold-Werk „MG 25“ 1,66 Millionen Pfund, dann für das drei Meter breite Feuerbild „Feu 88“ 3,3 Millionen Pfund. Es erstritt sich für drei Millionen Pfund das Kupfer „Metalli“ von Lucio Fontana, das zwar einmal im Jahr sorgfältig poliert werden muss, aber Symbolkraft und wunderbare Licht- und Spiegelwirkungen hat. Nebenbei bezahlte es eine Million für eine trauernde Jacqueline von Andy Warhol, nur um dann am nächsten Abend bei Christie’s den Ausbau der Yves-Klein-Kollektion mit einem Gebot von 5,8 Millionen Pfund für das goldene Schwammrelief „RE 47 II“ fortzusetzen, das Toplos der Woche.

Auch Laurence Graff mangelt es trotz der vielen Einbrüche in seinem Diamantengeschäft in der Bond Street nicht an Cash. Er bezahlte bei Christie’s für Kleins Anthropométrie „ANT 5“ 4,2 Millionen Pfund, die doppelte Schätzung. 2001, als Klein noch nicht den internationalen Sammlermarkt erobert hatte, kostete dieses Werk noch 388 500 Pfund. Graff bezahlte 2,3 Millionen Pfund für ein Dollarzeichen von Andrew Warhol – und steigerte das Porträt Buckminster Fullers von Matthew Day Jackson, das bei höchstens 40 000 Pfund angesetzt war, auf 601 250 Pfund. Dieses herrliche Oval huldigt dem Erfinder des geodätischen Doms durch feines Netzwerk auf brandgeschwärztem Holz und eine psychedelische Brille mit Perlmutt-Schlaglichtern in den Augen.

Martin Kippenbergers „Fliegender Tanga“ – ein fünfteiliges Werk aus der Sammlung Grässlin – war mit 1,2 Millionen Pfund verlockend taxiert. In langem Bietgefecht bezahlte Händler Philippe Segalot das Doppelte und kam damit fast an den Kippenberger-Rekord heran. War er am Telefon mit Christie’s-Besitzer und Großsammler François Pinault verbunden? „Sie sind uns bekannt“, rief der Auktionator, als Segalot keine Bieternummer hatte. Ein Privatmuseum hätte Pinault ja, und leisten kann er es sich als Milliardär auch.

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