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Kultur: Goldstücke

Afrikanische Miniaturen bei Barbara Wien

Es gibt Menschen, die schaffen es, in einem Leben viele Leben unterzubringen. Der 1937 geborene Brite Tom Phillips zählt zu dieser seltenen Spezies. Er ist Künstler und Übersetzer, Komponist und Musiker. Er schreibt konkrete Poesie sowie einen Blog, in dem er sich ebenso fachkundig über Malerei wie Tennis auslässt. Zudem gilt er als Kenner afrikanischer Kunst und kuratierte 1995 die große Afrika-Ausstellung in der Royal Academy, die anschließend auch in New York und Berlin zu sehen war. Doch Phillips hat noch eine Leidenschaft: In den letzten dreißig Jahren hat er die weltweit größte private Sammlung an afrikanischen Goldgewichten zusammengetragen.

Die Berliner Galeristin Barbara Wien präsentiert eine Auswahl dieser Miniaturen, die den Betrachter staunend vor den Vitrinen stehen lassen: kleinformatige Objekte, die frühesten um 1400 entstanden, die jüngsten um 1900. Goldstaub war das Zahlungsmittel der Akan-Völker, und da es vor 600 Jahren noch keine verbindlichen Gewichtseinheiten gab, entstanden kleine Bronze- oder Kupferfiguren, mit denen der Goldstaub abgemessen wurde. Die ältesten Objekte in der Ausstellung sind abstrakt; wunderschöne, teils gemusterte handschmeichlerkleine Quader. Doch schnell entwickeln die Künstler bei der Herstellung der Goldgewichte größte Phantasie: Schlüssel, Tiere, Stühle, Krieger, Waffen, Liebende – ein ganzer Kosmos des alltäglichen Lebens eröffnet sich. Da sitzen Frauen vor dem Kochtopf oder kehren mit einem Kind auf dem Rücken von der Feldarbeit zurück. Männer trommeln, spielen Oware, das Nationalspiel in Ghana, oder präsentieren auch schon einmal einen dem Gegner abgeschlagenen Kopf.

Wie individuell die anonym entstandenen Objekte sind, zeigt schon der Blick auf eine zur Herde angewachsene Gruppe von Elefanten. Ein Tier ist detailgenau mitten im Lauf abgebildet, ein anderes so verfremdet, dass es auch als Krokodil durchgehen könnte. Erstaunlich präzise werden die Waffen wiedergegeben, mit denen die Ashanti von den Europäern für den Goldstaub bezahlt wurden, was ihnen in der Region eine Vormachtstellung verschaffte. Viele Goldgewichte beziehen sich auf Redensarten und haben symbolischen Charakter, der dem Laien verborgen bleibt. Und doch ermöglicht gerade die in einer Galerie für zeitgenössische Kunst unerwartete Präsentation einen unverstellten Blick auf dieses besondere Sammelgebiet, die Schönheit und bestechende Einfachheit der Ornamente und ungeheuerliche Freiheit der Formgebung.

Anlass der Ausstellung gab Phillips’ neu erschienener Band zum Thema Goldgewichte, daneben ist ein kleines Künstlerbuch entstanden, in dem er eine Auswahl der Figuren abgezeichnet und mit Hinweisen auf Fundort und Preis versehen hat. Wen das Thema packt, der kann für 500 Euro die Bücher als Vorzugsausgabe im Leinenschuber erwerben, in dem sich bereits Platz für ein selbst zu wählendes Goldgewicht aus der Sammlung befindet – vielleicht ein Schlüssel für eine neue Welt.Katrin Wittneven

Galerie Barbara Wien Wilma Lukatsch, Linienstr. 158; bis 17. April, Di-Fr 13-18 Uhr, Sa 12- 18 Uhr.

Katrin WittnevenD

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