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Kultur: Golgatha im Business-District

Auf der Grenze zwischen Video und Malerei: die norwegische Künstlerin AK Dolven in Berlin

Etwas stimmt hier nicht. Nein, eigentlich ist alles falsch. Ein großes repräsentatives Büro mit Respekt gebietendem Schreibtisch und bester Aussicht. Ganz offensichtlich handelt es sich um eine Schaltzentrale der Macht. Nur residiert hier nicht ein Mann, sondern eine Frau, die im Businesskostüm auf ihrem Drehstuhl thront und zum Betrachter, dem womöglich Eintretenden schaut. Ihr zu Füßen sitzt ein Mann, der seinen Kopf in ihrem Schoß verborgen hält. Was für eine Szene, was für eine Vorgeschichte: Hat sich hier der Sturz des Mannes abgespielt, die Verstoßung eines Liebhabers?

Solche Interpretationsversuche führen nicht sehr weit bei den enigmatischen Videoarbeiten von A K Dolven. Dafür sind sie trotz realer Menschen, trotz wirklichkeitsnaher Settings viel zu sehr in einer anderen Welt beheimatet, bewegen sie sich stets auch in einem kunsthistorischen Diskurs. Der Titel des viereinhalbminütigen Videos, bestehend nur aus dieser einen Einstellung ganz ohne Schnitt und Schwenk, gibt die Richtung an: „Madonna with Man – Oslo“.

Die in London und auf den Lofoten lebende Künstlerin zitiert hier die großen Vorbilder der Kunstgeschichte, die Schmerzensmutter nach der Kreuzabnahme mit ihrem toten Sohn. Nur spielt die Szene nicht im mittelalterlichen Ambiente, tragen die Darsteller keine wallenden Gewänder. Die Muttergottes ist in die Businesswelt der norwegischen Hauptstadt herabgestiegen, Golgatha in erster Lage mit Blick auf die Bucht, wo sich unmerklich Fährboote von links nach rechts bewegen. Und plötzlich erscheint das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn in einem völlig neuen Licht, stellt sich die Machtfrage.

Die Szene wiederholt sich mit Variationen im zweiten Video, das die Galerie Carlier/Gebauer genau auf der Rückseite des quer in den Ausstellungsraum gehängten Screens präsentiert (je 32 000 Euro). Diesmal hat die Muttergottes in einem schicken Londoner Office in der Marylebone Road Platz genommen. Wieder führt der Blick durchs Fenster nach draußen, ebenfalls ein Motiv der mittelalterlichen Malerei. Hier fällt er auf ein viktorianisches Gebäude mit flatternden Fahnen, der einzigen Bewegung in der ansonsten perfekten Regungslosigkeit der Szene.

Die Videoarbeiten von A K Dolven haben immer etwas von Zeitkapseln; sie beschreiben auch einen Zustand, einen inneren Ort. Großartig gelang ihr das bereits 2004 mit dem auf der großen Skandinavien-Ausstellung „Berlin North“ im Hamburger Bahnhof gezeigten Video „between the mornings“, gedreht auf den Lofoten zur Mittsommernacht. Mitten in der atemberaubenden Küstenlandschaft sitzen in Rückenansicht vier nackte, kahlköpfige Frauen. Die Künstlerin hält die Zeit still, zwischen Tag und Nacht, zwischen Gegenwart und Vergangenheit, und schenkt damit der Videokunst die ansonsten eher der Malerei vorbehaltenen auratischen Momente. Selbst Malerin bewegt sie sich A K Dolven permanent auf der Scheide zwischen diesen Genres. Ihre monochrom weißen Gemälde, die gegenwärtig in der Sammlung Hoffmann zu sehen sind, wiederum verändern sich durch die Bewegung des Betrachters, den Wechsel des Lichts im Raum. Die Verleihung des Berliner Fred-Thieler-Preises für Malerei vor sechs Jahren war wohl die schönste Anerkennung für eine Aufhebung der Gattungsgrenzen.

Heraus fällt „amazon“, die dritte Arbeit bei Carlier/Gebauer (18 000 Euro). Erstmals arbeitet die Künstlerin mit 16mm-Film und vielen harten Schnitten. Immer wieder spannt eine moderne Amazone mit amputierter Brust den Bogen, setzt sie neu den Pfeil. Die Spannung zwischen eigener Verletzung und der Verletzung anderer steigert sich fast ins Unerträgliche, ein schmerzlicher Transfer des Mythos in die Moderne.

Carlier/Gebauer, Holzmarktstr. 15-18, bis 26. Februar; Di bis Sa 11 – 18 Uhr.

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