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Gorki Theater: Im Schlendergang

Pop plus Pathos: Antú Romero Nunes inszeniert Fritz Katers „Zeit zu lieben Zeit zu sterben“ am Berliner Maxim-Gorki-Theater.

In Fritz Katers „Zeit zu lieben Zeit zu sterben“ hechtet eine Handvoll 16-jähriger Jungs von Disko zu Besäufnis und sucht sich die Sexpartnerinnen nach Brustgröße aus. Carpe diem, lautet das Motto. Irgendwo zwischen Wernesgrüner Keller und Kathrins Sofa vergeigt Wolf dann zwar auch mal die Schauspielprüfung und lässt sich vom staatlichen Erziehungsapparat Bibliothekswissenschaften aufschwatzen. Mario verliert bei einem Unfall volltrunken beide Beine und stürzt sich vom Dach der Charité. Und Hans stellt einen Ausreiseantrag. Aber hey, die Zeiten, sie rocken.

Als Katers DDR-Triptychon 2002 am Hamburger Thalia-Theater uraufgeführt wurde, hatte der Norden schlagartig ein epochales Ost-Stück im Repertoire. Der Text, der prägnante Schlaglichter auf eine exzessive Jugend in einem komplett erstarrten System wirft, bevor er schließlich mit Katerstimmung im Nachwendedeutschland ankommt, gewann 2003 zu Recht den Mülheimer Dramatikerpreis. Im selben Jahr wurde die Uraufführung durch Armin Petras, der sich ja selbst hinter dem Pseudonym Fritz Kater verbirgt, zum Theatertreffen eingeladen und gilt bis heute als einer der legendärsten Petras-Abende überhaupt.

Keine leichte Hypothek für Antú Romero Nunes, den Hausregisseur des von Petras geleiteten Maxim-Gorki-Theaters, der das Stück nun ein knappes Jahrzehnt später wiederentdeckt – auf ureigenen Wunsch, wie alle Beteiligten versichern. Nunes, gefeierter Nachwuchsregisseur des Jahres 2010, hat freimütig erklärt, die DDR am ehesten aus dem Geschichtsunterricht zu kennen. Folgerichtig sucht er das Universelle hinter dem Konkreten – und landet beim Popkonzert.

Betont cool, in weißen Muscle-Shirts zu schwarzen Röcken und Hosen, stehen die Gorki-Schauspieler im Auftaktpart gemeinsam mit der Band Marie & The Red Cat auf der Bühne. Dialoge gehen gern in Rhythmen über in dieser Chorszene, die sich stakkatoartig durch die Besäufnisse, mehr oder weniger gelungenen Beischlafaktivitäten und die Zwischenfälle mit den Autoritäten arbeitet. Nunes nimmt Katers Zeilen praktisch als Songtexte – und geht damit den entgegengesetzten Weg zu Petras’ eigener Urinszenierung. Denn so rau und trocken Katers Stücke bisweilen daherkommen, so wenig sind sie tatsächlich frei von Romantizismen – wobei der Regisseur Petras den Autor Kater in aller Regel konsequent gegen den Sentimentalitätsstrich bürstet.

Nunes hingegen hat – offenbar eine Generationsfrage – so wenig Scheu vor dieser Pathosspur, dass er sie qua Soundtrack sogar bewusst verstärkt. In der Musik – der wohl wirklich allerletzten Nische, in der sich abgeklärte Kulturironiker noch emotionale Schwächeanfälle leisten – ist das Melancholisch-Sentimentale ja tatsächlich so gut aufgehoben, dass diese Form möglicherweise gerade Schule macht: In Hamburg hatte kürzlich schon Luk Perceval den aufrüttelnden Anklagesound aus Wolfgang Borcherts Kriegsheimkehrerdrama „Draußen vor der Tür“ qua Konzert für die Gegenwart anschlussfähig gemacht.

Allerdings konterkariert Nunes vor allem im zweiten Teil etwaige Romantik- und Ostalgieaufwallungen auch mit einer durchgängigen Comic-Ästhetik. Die Story um die Gebrüder Peter und Ralf rollen als illustre Bilderfolge über die dauerrotierende Bühne. Der eine Bruder ist bald mit der Schule fertig, der andere hockt in einer wenig aussichtsreichen Warteschleife fürs Medizinstudium fest. Die Charaktere schrumpfen auf zwei, drei erkennungsdienstliche Merkmale zusammen. Peter Jordan hat sich als handlungstragender Peter eine Art leitmotivischen Beinschlenker zugelegt. Johann Jürgens übt sich als älterer Bruder Ralf in einem angemessen versuchscoolen Schlendergang. Den linientreuen Pädagogen Bühring-Uhle, seine zweite Rolle, lässt Jürgens stets aus einer schön systemgeduckten Schrumpfhaltung heraus zum Angriff übergehen. Und wenn es hier tatsächlich mal zum Körperkontakt mit der Super-Adriana (Julischka Eichel) im roten Hemd kommt, spult sich im Schnelldurchlauf der komplette drohende Lebensweg ab: von der bereits leicht angegnatzten Hochzeit über Kinderwagenausflüge und das Stadium der Zahnlosigkeit bis hin zum unspektakulären Ableben.

So schnurrt der Abend virtuos, handwerklich perfekt und frei von übergeordneten Ebenen ab und ändert nur am Schluss noch einmal seinen Modus – in der Nachwendezeit, in der Robert Kuchenbuch in monologischer Retrospektive konstatiert: „Der Planet war erloschen.“

Wieder am 4.4. & 12.4., 19.30 Uhr

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