zum Hauptinhalt
Berliner Atelier. Jimmie Durham in Schöneberg mit Büffelkopf an der Wand. Einst war hier eine Metzgerei.

© Kai-Uwe Heinrich

Goslarer Kaiserring für Jimmie Durham: Sing mir das Lied

Der in Berlin lebende US-Künstler Jimmie Durham wird im Herbst mit der wichtigsten deutschen Auszeichnung geehrt.

Gut möglich, dass die Juroren des Goslarer Kaiserrings die Ausstellung von Jimmie Durham im letzten Sommer im Neuen Berliner Kunstverein gesehen haben. Schließlich lebt der Juryvorsitzende Wulf Herzogenrath seit seiner Pensionierung als Bremer Kunsthallendirektor wieder in Berlin. Durhams Ensembles mögen ihn fasziniert haben.

Der Konzeptkünstler stellte in Vitrinen ein Abflusssieb, eine Garnrolle und einen Vorhangring zusammen, weil sie alle rund sind mit einem Loch in der Mitte, ferner ein Hufeisen, ein Winkeleisen und ein Uhrarmband, weil sie aus Metall bestehen, außerdem eine zerbrochene Brille und einen Reisewecker, weil sie rechteckig sind. Die Methode ist bezeichnend für den leidenschaftlich Reisenden, der auf seinen Wegen immer wieder die sonderbarsten Trouvaillen macht. In seinen Skulpturen verbindet er Werkstoffe und Fundstücke zu Assemblagen, die ebenso humorvoll wie poetisch sind, zugleich ein kritisches Potenzial besitzen.

Zur Sammlung der runden Gegenstände kann Jimmie Durham ab Herbst den Goslarer Kaiserring hinzufügen: einen dicken goldenen Ring mit einem Aquamarin, in dem das Bildnis Kaiser Heinrichs IV. eingraviert ist. Der 1975 erstmals verliehene Kaiserring gilt als renommierteste Auszeichnung für zeitgenössische Kunst in Deutschland, undotiert zwar, aber mit einer eindrucksvollen Liste der Preisträger – von Henry Moore, Max Ernst bis zuletzt Boris Mikhailov. Nur Frauen gab es kaum, nach 18 Jahren war Rebecca Horn die erste Gewinnerin.

Jimmie Durham braucht das nicht zu scheren. Der 75-jährige US-amerikanische Künstler ist eine großartige Wahl. „Die Verleihung dieses Preises erfüllt mich mit großer Demut und Freude. Es ist eine große Ehre“, erklärte er. Am 8. Oktober wird er die Auszeichnung in der Goslarer Kaiserpfalz entgegennehmen, Herzogenrath und Durham können dann gemeinsam aus Berlin anreisen, denn auch der Künstler lebt immer wieder in der Stadt, seit er Ende der Neunziger als Daad-Stipendiat an die Spree kam – auch Mikhailov lebt hier, wie überhaupt etliche Kaiserring-Träger. Vor zwei Jahren bezog Durham ein Atelier in der Großgörschenstraße, wo einst die erste Produzentengalerie gründete, Großgörschen genannt. In der unscheinbaren Schöneberger Straße kombiniert sich, als wär’s eine Durham’sche Vitrine, Zukunft und Vergangenheit der Kunststadt Berlin.

Wahrscheinlicher aber ist es, dass Durham von irgendwoher aus der Welt anreist, denn er gehört zu den gefragtesten Künstlern des Ausstellungsbetriebs, mehrfach eingeladen zur Biennale nach Venedig, auch zur Documenta nach Kassel, wo er 2012 zu den Schlüsselfiguren zählte. Noch bevor die alle fünf Jahre stattfindende internationale Kunstausstellung begann, pflanzte er zusammen mit Documenta-Macherin Carolyn Christov-Bakargiev einen Apfelbaum in der Karlsaue, genauer: einen Korbiniansapfelbaum, den er noch aus seiner Kindheit in Arkansas kannte. Pfarrer Korbinian Aigner hatte die Sorte während seiner Inhaftierung im KZ Dachau gezüchtet. Wieder brachte Durham scheinbar weit auseinander liegende Dinge zusammen, verdichtete sie wie in einer mystischen Handlung und warf zugleich ein gleißendes Licht auf die belastete Vergangenheit des Orts – unweit von Kassel gab es das KZ Breitenau.

So hat es Durham immer gehalten, ob er Kunst macht oder sich wie früher als Aktivist engagierte. Der Cherokee sorgte in den Siebzigern als Vorsitzender des von ihm mitbegründeten International Indian Treaty Council bei den Vereinigten Nationen dafür, dass die Rechte indigener Völker festgeschrieben wurden. Um das Verhältnis von Macht und Zivilisation geht es auch in vielen seiner Arbeiten, immer wieder tauchen Steine auf, mit denen er bei seinen Performances Kühlschränke, Vitrinen, Wände demoliert.

Gewalt bleibt dem sanften, poetischen Werk Durhams also eingeschrieben. So auch im Neuen Berliner Kunstverein, wo der Künstler Lieder seiner Kindheit mit sanfter Stimme intonierte. Als Teil der Installation durften die Besucher eine Kugel auf einen Stein an einer gegenüberliegenden Wand abschießen. Der Knall unterbrach jedes Mal die Melodie. Auch wenn Durhams Werk sich nicht als Politkunst versteht, ein Weckruf geht immer von ihm aus.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false