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Kultur: Gottes Nachmieter

Kneipe statt Leerstand: Wie man Kirchen umnutzt

Die Kirche im Dorf zu lassen, ist gar nicht so einfach. Vor allem, weil es in Deutschland zu viele Gotteshäuser gibt. Ein Problem, das sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche seit Jahren umtreibt. Doch während vor zwei Jahren der Abriss der Raphaelkirche in Berlin-Gatow, ein Spätwerk von Rudolf Schwarz, noch für Wirbel sorgte, merkte kaum jemand auf, als mit St. Johannes Capistran im vergangenen Jahr der nächste Sakralbau Berlins verschwand.

Gleichwohl, eine Abrisswelle ungenutzter Kirchen steht nicht bevor. Zu negativ waren die Schlagzeilen, die die Zerstörung von St. Raphael begleiteten. Das Problem aber bleibt bestehen: Was tun mit dem viel zu großen Immobilienbestand der Kirchen? Sinkende Zahlen bei Gottesdienstbesuchern und Kirchensteuereinnahmen sorgen zusätzlich für Handlungsbedarf, schon aus Gründen der Ökonomie. Doch angemessene Lösungen für die Nutzung der Gebäude zu finden, ist schwierig.

Das weiß auch Herbert Fendrich, Kulturbeauftragter des Bistums Essen, in dem rund 100 Kirchen leer stehen „Wir bemühen uns, kirchennahe Nutzungen in den Gebäuden unterzubringen.“ Kein leichtes Unterfangen. Hinzu kommt, dass es sich bei einigen der aussortierten Kirchen um bedeutende Baudenkmale handelt, von Rudolf Schwarz oder Gottfried Böhm. Und viele Kirchen erlauben wegen ihrer ausdrucksstarken Architektur nur eingeschränkte Möglichkeiten zur Umnutzung. Gleichwohl ist Fendrich darum bemüht, Kirchen für das Wohnen im Alter oder für karitative Einrichtungen umzurüsten. Spätestens wenn die Kirchtürme reihenweise aus dem Stadtbild verschwinden, wird das nicht nur die gläubigen Christen stören, sondern alle Anwohner. Spätestens dann wird klar, dass die Erhaltung der Gotteshäuser eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist.

Das Umnutzungsspektrum ist groß: vom Verlagsbüro in einer SechzigerJahre-Kirche in Münster bis zur Veranstaltungslocation wie bei Schinkels wiederaufgebauter Elisabethkirche in BerlinMitte. Außerdem können Kirchen oft ohne großen Aufwand von anderen christlichen Glaubensgemeinschaften weitergeführt werden. Nur die Umnutzung als Moschee ist nach wie vor undenkbar.

Einen anderen Weg ist man in Frankfurt gegangen. Dort haben die Architekten Meixner, Schlüter und Wendt die evangelische Dornbuschkirche aus den sechziger Jahren bis auf den Altarraum zurückgebaut. Die neu entstandene Eingangswand mit ihrem plastischen Relief erinnert die Kirchenmitglieder an die Gestaltung des Altbaus. Erinnerungsspuren trägt auch der neue Vorplatz: Seine farbigen Markierungen wirken auf den ersten Blick wie Spielfelder auf einem Sportplatz. Doch eigentlich kennzeichnen sie den einstigen Standort von Gestühl und Empore und retten so ein Stück Erinnerung über die Zeit.

Das Frankfurter Beispiel, übrigens ausgezeichnet mit dem Gestaltungspreis der Wüstenrotstiftung, ist aber nur begrenzt auf andere Fälle übertragbar. Derzeit besonders häufig diskutiert wird die Einrichtung sogenannter Columbarien: Dafür werden in den entwidmeten Kirchen Grabnischen für Urnen geschaffen. So gelang es etwa den Architekten Pfeiffer, Ellermann und Preckel, in Marl eine Kirche von Emil Steffann ohne große Veränderungen umzurüsten und ihr dennoch ihre Wirkung zu belassen.

Nicht alle Umnutzungskonzepte versprechen „Glückundseligkeit“, wie das gleichnamige Restaurant in der Bielefelder Martinikirche. Schließlich sind für die Seligkeit vor allem jene Sakralbauten zuständig, die weiter für den Gottesdienst genutzt werden.

Jürgen Tietz

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