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Singen kann er auch noch. Gottfried John als Peachum in der von Klaus Maria Brandauer inszenierten „Dreigroschenoper“ am Berliner Admiralspalast (2006). Foto: Oliver Lang, dapd

© dapd

Gottfried John: Charakter mit Kopf

Er hat einen russischen James-Bond-Widersacher gespielt, war Julius Cäsar im "Asterix & Obelix"-Film und wurde durch Fassbinder zum Kinostar. In seiner Autobiografie beschreibt Gottfried John Schauspielerei als „harte Arbeit an der Wahrheit“. Nun wird der unerbittliche Darsteller 70.

Es ist ein Auftakt wie aus einem späten Fassbinder-Film, irgendwo zwischen „Lili Marleen“ und „Die Sehnsucht der Veronika Voss“. Gezeugt wird der Held am Heiligen Abend 1941 in einem Mercedes-Coupé, zur Welt kommt er – eine Frühgeburt – am 29. August 1942 in Berlin. Die Mutter arbeitet als Sekretärin bei einer Mineralölgesellschaft, der Vater ist ihr Chef. Sie solle ihm einen Sohn schenken, ein „Christkind“, bittet er, doch als der Sohn dann da ist und die Mutter ihn taufen lassen will, lehnt der Vater das Geschenk ab und macht sich aus dem Staub. Er hatte eine „Napola“-Eliteschule für den Sohn vorgesehen, das katholische Sakrament könnte seiner NS-Karriere schaden. So wächst Gottfried John als uneheliches Kind auf und mit dem „Gefühl, als müsste ich mich dafür schämen“.

Von der Scham und den Schuldgefühlen, aber auch vom Glück einer wilden, anarchischen Kindheit jenseits der Normen erzählt John in seinen „Bekenntnissen eines Unerzogenen“. Die im Jahr 2000 erschienene Autobiografie gehört nicht zu den handelsüblichen Schauspielermemoiren voller Hinterbühnenanekdoten, es ist ein 460-seitiger Entwicklungsroman, vor allem aber eine Liebeserklärung an die Mutter, die schon ein Hippie war, als es den Begriff noch gar nicht gab. Sie träumt von einer Karriere als Schauspielerin, scheitert aber am Alltag, kann nicht verhindern, dass ihr das Sorgerecht entzogen und der Sohn in Heime gesteckt wird, flieht mit ihm – als Tramperin im Wirtschaftswunderland – von Berlin in die Münchner Boheme und schließlich nach Paris. Seinen ersten Filmauftritt hat Gottfried John zusammen mit der Mutter als Komparse in München, er spielt einen Pagen und muss den Satz „Ein Telegramm für Sie“ aufsagen. Am Set verspotten sie ihn der dürren Figur wegen als „Vogelscheuche“, die Szene schafft es nicht in den Film.

Doch auch seinen Durchbruch zum international gefragten Darsteller hat Gottfried John, der nach einer privaten Schauspielausbildung am Berliner Schillertheater debütierte, seiner Physiognomie zu verdanken, genauer gesagt: dem Charakterkopf. Das knochige Gesicht mit den buschigen Augenbrauen über der doppelt gebrochenen Nase – eine Trophäe aus den Kämpfen der Jugend – prädestiniert ihn für Schurkenrollen wie die des russischen James-Bond-Gegenspielers General Arkady Grigorovich Ourumov in „Golden Eye“ (1995). Aber John hat auch einen bayrischen Anarchorebellen – seine erste Kinohauptrolle – in Volker Vogelers Anti-Heimatfilm „Jaider, der einsame Jäger“ (1970) gespielt, den römischen Kaiser in „Asterix & Obelix gegen Cäsar“ (1999) und einen Slapstick-Sparringspartner in „Otto – Der Film“ (1985).

Gottfried John arbeitete mit Volker Schlöndorff, Heiner Carow und Doris Dörrie – doch der wichtigste Regisseur blieb für ihn immer Rainer Werner Fassbinder. Fassbinder war nach der Scheidung seiner Eltern als Einzelkind bei der Mutter aufgewachsen. Vielleicht erkannte er in John, dem Einzelkind und Muttersohn, einen Seelenverwandten, als er ihn 1972 als proletarischen Aufsteiger im Fernsehfünfteiler „Acht Stunden sind kein Tag“ besetzte. Es folgten acht weitere gemeinsame Arbeiten, zuletzt „Lili Marleen“.

„Schauspielerei ist nicht Lügen. Dieser Beruf ist harte und mühsame Arbeit an der Wahrheit. Dazu gehört Mut“, lautet das Credo des stillen Stars, der heute am bayrischen Ammersee lebt. Was wir ihm und uns zu seinem 70. Geburtstag wünschen: eine Fortsetzung seiner „Bekenntnisse“.

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