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Grace Jones in der gerade auf DVD erschienenen Dokumentation „Grace Jones: Bloodlight and Bami“ von Sophie Fiennes.

© Andrea Klarin

Grace Jones wird 70: Herrscherin der Nacht

Sängerin, Schauspielerin, Model, alterslose Stil-Ikone: Grace Jones zum 70. Geburtstag.

Silvester 1977, New York City. Der Club, in den alle wollen: das Studio 54 in Midtown. Vor der Tür bilden sich Menschentrauben, drinnen ist es schon sehr voll. Der im April eröffnete Laden ist bekannt für Glam, Drogen, Sex, Disco und Exzess. Promis mischen sich mit Normalos, Heteros mit Homos.

Maßgeblich beigetragen zu dieser Mischung und dem Ruf des Studio 54 als aufregendster Ausgehlocation der Stadt hat eine jamaikanische Sängerin, die gern mal nackt dort aufkreuzt: Grace Jones. Für die Silvesterparty hat sie sich allerdings einen knappen, goldenen Glitzerfummel übergeworfen. Mit einem Motorrad fährt sie auf die Bühne, begleitet von der Dragqueen Divine und einigen nackten Muskelmännern.

Leider verpasst haben diesen Knaller- Auftritt Nile Rodgers und Bernard Edwards von der Band Chic. Jones hat die beiden eingeladen – sie will mit ihnen ein Album aufnehmen –, allerdings vergessen, ihre Namen auf die Gästeliste schreiben zu lassen. Frustriert gehen die Musiker in der bitterkalten Nacht zurück nach Hause, wo sie ein bisschen jammen, um ihrem Ärger Luft zu machen. Dabei entsteht der größte Chic-Hit: „Le Freak“, dessen Refrain zunächst „Ahhh, fuck off“ lautete. Dass Grace Jones ihn unwillentlich und unwissentlich inspiriert hat, passt zu dieser Zeit, in der sie zu einer der ikonischen Figuren des New Yorker Nacht- und Kulturlebens aufsteigt. Sie ist da, wo es brummt, Andy Warhol wird ihr Freund, Keith Haring malt auf ihrer Haut. Auch der Szene des nächsten legendären Clubs – der Paradise Garage – gehört sie an.

Sie war Go-Go-Tänzerin und experimentierte mit Drogen

Eine Karriere, die keineswegs absehbar war. Grace Jones, am 19. Mai 1948 im jamaikanischen Spanish Town als drittes von sechs Kindern geboren, stammt aus einer streng religiösen Familie. Nachdem die Eltern zum Arbeiten nach Amerika gegangen sind, wächst sie zunächst bei den Großeltern auf. Eine harte Zeit, denn der neue Mann der Großmutter schlägt die Kinder regelmäßig mit Ledergürteln – für jedes hat er einen eigenen. Als Grace Jones 13 ist, holen ihre Eltern sie und die Geschwister nach Syracuse, New York, wo Jones die Schule abschließt. Philadelphia ist anschließend die erste Stationen ihrer Emanzipation von Familie und Religion. Sie arbeitet als Go-go-Tänzerin, kurz auch als Playboy-Bunny, hängt mit Hippies ab, experimentiert mit Drogen.

In New York wird sie Model, versucht Filmrollen zu bekommen und hat einen MeToo-Moment mit dem Produzenten eines Gangsterfilms: In seinem Haus in Beverley Hills empfängt er sie in einer Seidenrobe und wird beim Champagner zudringlich, wie sie 2015 in ihrer Biografie „I’ll Never Write My Memoirs“ beschreibt. Sie schüttet ihm den Drink ins Gesicht, beschimpft ihn und stürmt aus dem Haus. Am nächsten Tag schickt er ihr Blumen und eine Entschuldigung – sie bekommt die Rolle.

In den Siebzigern geht sie nach Paris - New York ist noch nicht bereit

Grace Jones lässt sich nie herumschubsen oder runtermachen. Wer es versucht, wird verflucht, wie ein rassistischer Agenturchef, oder vor laufender Kamera verprügelt, wie ein unhöflicher Moderator.

Weil es jedoch für schwarze Frauen Anfang der Siebziger in den USA sowohl im Film- als auch im Modegeschäft nur wenige Jobs gibt, geht Grace Jones nach Paris. Dort arbeitet sie mit Größen wie Helmut Newton und Issey Miyake zusammen, kommt auf diverse Titelblätter und erhält schließlich einen Plattenvertrag. So wird die ambitionierte junge Frau, deren eigentliches Ziel immer noch die Schauspielerei ist, zum musikalischen Re-Import in ihrer zweiten Heimat.

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Tom Moulton produziert drei Disco-Alben für sie, die mit „La Vie En Rose“ zwar ihren ersten großen Hit enthalten, sie aber letztlich austauschbar klingen lassen. Erst als ihr ebenfalls aus Jamaika stammender Labelchef Chris Blackwell sie Anfang der Achtziger auf den Bahamas mit den Compass Point All-Stars um das geniale jamaikanische Rhythmus- Duo Sly & Robbie zusammenbringt, entsteht der Sound der ihr entspricht: ein cooles Gemisch aus Reggae-, Funk- und New-Wave-Elementen, das sich hervorragend für Coverversionen von Songs wie „Private Live“ oder „Warm Leatherette“ eignet. Ab „Nightclubbing“, dem zweiten der insgesamt drei Alben, die Jones mit der Formation aufnimmt, kommen auch Originalkompositionen wie „Nipple To The Bottle“ oder das grandiose „Pull Up To The Bumper“ hinzu, von dem Jones in ihrer Autobiografie behauptet, dass ihr während der Aufnahmen nicht bewusst war, dass man den Text auch als Sex-Metapher verstehen kann.

"Feeling like a woman - looking like a man"

Auf der Trilogie findet Grace Jones, die sich nie als Sängerin gesehen hat, auch zu ihrem dunklen, gelegentlich sprechsingenden Stil. Dessen optische Entsprechung entwirft ihr damaliger Partner Jean-Paul Goude, der sie auf den Coverbildern und in Videos als mysteriöses androgynes Wesen mit animalischen und alienhaften Zügen inszeniert. „Feeling like a woman / Looking like a man / Sounding like a no-no / Mating when I can“, singt sie programmatisch in „Walking In The Rain“.

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Dieses dominante Image, das mit dem von Trevor Horn produzierten „Slave To The Rhythm“ 1985 noch einmal zugespitzt wird, hilft Jones, endlich auch Filmrollen zu bekommen. Allerdings legt man sie umgehend auf Varianten ihrer Kunstfigur fest. So spielte sie etwa in „Conan, der Barbar“ neben Arnold Schwarzenegger die wilde Kriegerin Zula oder im Bond- Film „A View to a Kill“ die Assistentin des Oberbösewichts May Day. Am Set jagt sie 007-Darsteller Roger Moore sogar noch in der Drehpause Angst ein. „Hör auf, mich so anzuschauen“, sagt er zu ihr.

In den Neunzigern nimmt Grace Jones keine Alben auf, hat aber 2008 ein starkes Comeback mit „Hurricane“, das an ihre große Zeit Anfang der Achtziger anknüpft. Es wurde teilweise in Jamaika aufgenommen, wo Jones auch wieder mit Sly & Robbie zusammenarbeitet. In Sophie Fiennes’ wunderbarem Dokumentarfilm „Grace Jones: Bloodlight and Bami“, der die Sängerin über mehrere Jahre begleitet, sieht man, wie die Sängerin mehrmals versucht, etwas mit Bassist Robbie Shakespeare am Telefon zu besprechen. Irgendwann ruft sie: „Robbie, I’m human, I’m human.“ Selbst einem ihrer ältesten Kollegen muss sie ihre Menschlichkeit noch einmal in Erinnerung rufen. So überlebensgroß erscheint inzwischen die Figur der maschinengleichen Überfrau, die im Übrigen immer noch fantastisch in Form ist und gelegentlich Konzerte in abgefahrenen, knappen Kostümen gibt. Ihre Energie und ihre Ausstrahlung sind tatsächlich nicht von dieser Welt.

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