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Magnete in der Stadt. 1974 schuf Geta Brhtescu eine großformatige Fotomontage, in der die Trostlosigkeit des sozialistischen Siedlungsbaus und das zwanghafte Zusammenleben im damaligen Rumänien zum Ausdruck kommen.

© Stefan Sava, Nationalmuseum zeitgenössischer Kunst, Bukarest

Grande Dame des Ostens: Medea der bleiernen Jahre

Die Hamburger Kunsthalle würdigt die 90-jährige rumänische Künstlerin Geta Brătescu mit einer großen Ausstellung.

Die Isa-Genzken-Schau im Gropiusbau ging im Juni zu Ende, die Retrospektive der bedeutenden türkischen Künstlerin Gülsün Karamustafa läuft noch bis Ende Oktober am Hamburger Bahnhof. Eigentlich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass reife Künstlerinnen mit großen Museumsausstellungen geehrt werden – wie ihre männlichen Kollegen. Eigentlich. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Isa Genzken ist gewiss berühmt, aber berühmter ist ihr Ex-Mann Gerhard Richter. Die Altherrenfraktion wird ihren Vorsprung auch noch halten, solange Sätze wie von Georg Baselitz noch in den Köpfen stecken: „Frauen malen nicht so gut. Das ist ein Fakt“, behauptete der Künstler Anfang 2013 im „Spiegel“.

Nun hat Baselitz vielleicht nicht mitbekommen, dass die Malerei ihren Status als Königsdisziplin verloren hat. Vielleicht gibt es auch deshalb nicht so viele Malerinnen, weil die Frauen gar nicht malen wollen. Dazu gehört Geta Brătescu, der die Hamburger Kunsthalle eine großartige Retrospektive widmet, die erste außerhalb ihrer rumänischen Heimat. Fotografien, gefilmte Performances, Collagen mit Papier oder Stoff sind in der umfangreichen Ausstellung zu sehen. Nicht zu vergessen: Zeichnungen.

Die Linie, sichtbar oder als Idee, zieht sich durch ihr Werk. Auch wenn es betont flächige Arbeiten gibt, etwa Papiercollagen, bei denen kräftige Farben durch weiße Pergamentlagen hindurchschimmern. Eine Art Malerei? Vielleicht. Sicher im Umgang mit Farben ist Geta Brătescu allemal.

Die Galerie der Gegenwart räumt für Geta Brătescu die dritte Etage frei

Doch im Grunde entwickelt sie ihre Welt aus der Linie. In der Galerie der Gegenwart, in der die Werke der 90-Jährigen die ganze dritte Etage füllen, ist ein langes schwarzes Stoffband zu sehen. An die Wand gepinnt, zeichnet das in durchhängenden Bögen gegliederte Band eine fiktive Landkarte. „Didona“ heißt das Werk, das Brătescu 2000 in Anlehnung an den Gründungsmythos von Karthago schuf: Dido, einer phönizische Prinzessin auf der Flucht, wurde am Golf von Tunis so viel Land versprochen, wie sie mit einer Kuhhaut umspannen konnte. Darauf schnitt Dido das Leder in dünne Streifen, legte sie aneinander und markierte auf diese Weise ein großes Stück Land.

Land gewinnen, Denkräume eröffnen: „Didona“ spiegelt die Situation der Künstlerin im Rumänien vor 1990. Wie ihre Künstlerkollegen Ion Grigorescu oder Eugenia Pop arbeitete Brătescu unter den erschwerten Bedingungen des Totalitarismus. 1949 musste sie ihr Studium – Kunst und Literatur, die sie immer als gleichwertig empfand – abbrechen, da sie aus der oberen Mittelschicht stammte. Ihre Eltern führten eine Apotheke, das entsprach im kommunistischen Rumänien einer „ungesunden sozialen Herkunft“. Brătescu, die sich mit Haut und Haar der Kunst verschrieben hatte, arrangierte sich mit dem System, trat der Künstlervereinigung UAP bei und arbeitete als Grafikerin des Magazins Secolul 20. 1969 konnte sie ihr Studium doch fortsetzen, schloss es 1971 ab. 1999 wurde sie mit einer großen Retrospektive im Nationalmuseum in Bukarest gefeiert, auf der Venedig-Biennale stellte sie 2013 aus.

Seit den 90er Jahren schafft die Künstlerin vor allem serielle Werke

Neben Dido, Goethes Faust oder Brechts Mutter Courage zählt Medea zu den Figuren, die sich Brătescu aus der Literatur in die Kunst holt. Medea, die Verstoßene, Rächerin und Mörderin ihrer eigenen Kinder wurde zwischen 1975 und 1981 zum Thema einer Serie von Stoffarbeiten. Mit der Nähmaschine hat die Künstlerin die verschiedenfarbigen Stoffteile nicht nur vernäht, sondern Linien damit gezeichnet. Die Stoffbilder wirken halb wie Insel-Topografien, halb wie Querschnitte eines Kopfes, „kein Porträt an sich“, wie Brătescu sagte, deren Faszination für die flammende Extremistin in den bleiernen Jahren des Stalinismus nur zu verständlich erscheint.

Hier wie in handgenähten Werken stammen die Stoffreste von Kleidern ihrer verstorbenen Mutter. Das Gewebe wird zur Metapher persönlicher und überindividueller Geschichte. Kurz vor und nach dem Sturz Ceauşescus entstehen abstrakte Bahnen aus sich überlappenden Stoffbahnen – wie Blätter eines leeren Wandkalenders, der aus dem Leim gegangen ist, voll und schwer von Erinnerungen. Seit den 90er Jahren schafft Brătescu viele serielle Werke, aus Papier, Seilstücken oder mit zeichnerischen Mitteln, in denen die Künstlerin bestimmte Formationen durchdekliniert und damit Zeit und Geschichte fühlbar macht.

Diese abstrakte, letztlich anti-erzählerische Grundhaltung prägt auch ihre experimentellen Filme. „The Studio“ (1978), bei dem ihr Kollege Ion Grigorescu die Kamera führte, zeigt das Atelier als Dreh- und Angelpunkt ihres künstlerischen Schaffens, ein privater Raum, wie Brătescu einmal gesagt hat, „den man immer bei sich trägt“. Im Film erwacht die Künstlerin wie eine plötzlich beseelte Statue, bewegt sich zeichnend durchs Atelier, vermisst den Raum mit ihrem eigenen Körper und spielt schließlich clownesk mit Objekten. Narrenfreiheit.

Der Film zeigt, dass ein Studio mehr als ein Produktionsort sein kann. In einem repressiven System ist es eine Zone der Freiheit, ein Kraftzentrum. Brătescu begeisterte sich übrigens schon als Kind für Magnete und ihre unsichtbaren Kraftlinien. In einer Fotomontage von 1974 pflanzt sie Hufeisenmagnete in den öffentlichen Raum. Im selben Jahr verfasst sie ein Manifest über den Magnetismus gesellschaftlicher Subversion, das sie allerdings erst 1989 veröffentlicht.

Geta Brătescu war nie so politisch wie etwa Gülsün Karamustafa. Stattdessen steckte die Künstlerin ihre ganze Energie in ihr Werk. Diese Energie strahlt in Hamburg von ihnen ab.

Hamburger Kunsthalle, bis 7. August; Katalog 24,80 €

Jens Hinrichsen

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