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Zauberer. Jürgen Flimm war auch Intendant der Berliner Staatsoper.

© picture alliance / dpa

Gratulation an den Theaterfreund: Jürgen Flimm zum 80. Geburtstag

Großer Tschechov-Regisseur, Mozart-Interpret und Bühnen-Herrscher an der Berliner Staatsoper: Jürgen Flimm wird 80.

Sein Ruf, wenn nicht Ruhm rührt eigentlich von einer Episode her. Denn Jürgen Flimm war in seinem langen, ereignisreichen Theaterleben gerade sechs Jahre, von 1979 bis '85, Intendant des Kölner Schauspiels. Doch seitdem gilt er in aller deutscher Theaterwelt als der „gute Mensch von Köln“. Gleich hinter dem allerbesten Kölner Heinrich Böll.

Jürgen Flimm, der vor der Kölner Kindheit in Gießen zur Welt kam, ist als Regisseur und Intendant in der von Männern beherrschten Theaterszene durchaus ein Mann voller Macht gewesen.

Erst Auflehnung, dann Herrschaft

Dabei hatte er zeitgleich mit Peter Stein als Regieassistent an den Münchner Kammerspielen seine Laufbahn begonnen, im legendären Jahr 1968, also in der Auflehnung gegen die alten Theaterherren.

Um dann selbst in Köln und anschließend in Hamburg, bei der Ruhrtriennale, den Salzburger Festspielen und zuletzt bis 2018 an der Berliner Staatsoper Unter den Linden zu einem der neuen Bühnenherrscher zu werden.

Doch schon in Köln war er anders als die meisten seiner (männlichen) Kollegen. Flimm verbindet mit seiner Profession nicht nur die wechselseitige Liebe zu seinen Akteuren und dem Publikum, er war immer auch ein kameradschaftlicher Freund der Bühnentechniker und aller Theatermitarbeiter:innen, die sonst nie ans Licht der Öffentlichkeit gelangen.

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Wer je ein Flimm-Theater betrat, hat sogleich den herzlichen Geist des Hauses gespürt. Sogar als Kritiker kann man mit Flimm gut befreundet sein – schwer denkbar etwa bei den Stein-Zadek-Peymanns oder dem ein Jahrzehnt jüngeren Frank Castorf. Linker Hochmut und Regiefürstenarroganz sind Jürgen Flimm von seiner rheinisch-menschlichen Natur völlig fremd.

Anfangs hat er kämpfen müssen. So bei einer spannungsvollen Inszenierung des russischen Revolutionsstücks „Marija“ von Isaak Babel, das im Herbst 1976 im Münchner Residenztheater den größten Premierenskandal auslöste und in der CSU gar den Ruf nach Wiedereinführung der Zensur.

Flimm errichtete kurzerhand ein Zirkuszelt

Später aber sind ihm die Herzen zugeflogen. In Köln, dann anderthalb Jahrzehnte am Hamburger Thalia-Theater, als Direktor der Salzburger Festspiele und als Chef der Berliner Staatsoper waren seine Intendanzen fast durchweg erfolgreiche Glücksspiele.

Als in den 1980er Jahren die Stadt Köln aus Sanierungsgründen das Schauspiel vorübergehend schloss, errichtete Flimm vor dem Theater ein Zirkuszelt und inszenierte darin eine seiner schönsten Aufführungen. Büchners „Leonce und Lena“ wurde in einer Manege zum Spektakel. Artisten unter der Zirkuskuppel entfachten revolutionär-romantische Poesie, machten das Stück zur hellsichtigen Clownerie, und man flog auf Schaukeln „nach Italien“, ins Sehnsuchtsland der Utopie.

Theater, Musik, Bildmagie

Flimm ist ohnehin ein animierender Kosmopolit, der in den USA wie auch in China inszeniert hat; der am Rhein Robert Wilson und Heiner Müller für ihre epochalen „Civil Wars“ zusammenbrachte und am Hamburger Thalia mit Wilson und Tom Waits samt Flimm-Akteuren wie Annette Paulmann und Stefan Kurt Triumphe wie „Black Rider“ gefeiert hat. Theater, Musik und Bildmagie wurden zu Gesamtkunstwerken.

Der große Tschechow-Regisseur und virtuose Mozart-Interpret, er schreibt nun seine Memoiren auf dem eigenen Landgut unweit von Hamburg. Auch als Autor ist er ja „ein Atmosphärenzauberer und Menschendurchschauer“, so Wolf Lepenies zu Flimms vor zehn Jahren erschienenem Theatergeschichtenbuch „Die gestürzte Pyramide“. Freund Jürgen, heute zu Deinem 80., sei das Pharaonendenkmal noch fern!

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