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Ansicht eines Clowns. Claude Chabrol mit seiner Berlinale-Kamera, 2009. Foto: dpa

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Gratulation: Der Giftmischer

Sittenbildner der Bourgeoisie: dem Meisterregisseur Claude Chabrol zum 80. Geburtstag. Man schimpfte ihn Maoist, Faschist und Feminist.

Eine Schlusstotale, der Park vor einer Villa. Am Hauseingang, leicht erhöht, steht statuenstill „Die untreue Frau“; vom linken Bildrand blickt ihr Mann zwischen zwei Polizisten, zu ihr zurück, und damit beginnt die Bewegung der Kamera in diesem Film von 1968, eine Kombination aus Rückfahrt, Zoom und Schwenk, bis die Frau hinter dunklen Baumstämmen verschwindet. Annäherung und Trennung des Paars bleiben in der Schwebe, das Bild wird schwarz, der Film ist zu Ende.

Die letzte Runde der „ChampagnerMörder“ (1966) wiederum, mit drei Akteuren eines monströsen Komplotts: Wutentbrannt fallen sie in einem Zimmer übereinander her, die Kamera blickt aus der Vogelperspektive auf sie und fährt immer weiter zurück, der Raum schrumpft zur Größe einer Briefmarke, die winzigen Figuren verknäueln sich ineinander auf rotem Teppich, alles versinkt im Schwarz, nichts wird gelöst.

Das Urteil über einen Protagonisten, der aus Paris in sein Heimatdorf zurückkehrt, wo „Die Enttäuschten“ (1957) ein ärmliches Leben führen. Seine Geliebte wirft ihm vor, dass er die Menschen wie Insekten beobachte, ohne Liebe, ohne Mitgefühl.

Drei chabroleske Szenen, sinnverwirrend, trickreich, programmatisch.

Rainer Werner Fassbinder urteilte damals, 1974: „Chabrols Filme sind unmenschlich, weil sie fatalistisch, zynisch und menschenverachtend sind.“ Sie sind vielschichtig, unsentimental, genau. Keine revolutionären Bannerträger gegen die Klassengesellschaft à la „Rote Fahnen sieht man besser“, sondern immer im vollen Bewusstsein der Abgründe und des Charmes der Bourgeoisie.

Man schaue nur auf die feinen Risse im Familienidyll der „Untreuen Frau“ (1969) – das ist Stéphane Audran, die Muse der frühen Jahre. Den ganzen Film hindurch bewegt sie sich verdrossen und verschreckt, unverstanden und unfroh, bis sie erkennt, dass ihr Mann ihren Liebhaber getötet hat; sie entdeckt den Beweis dafür, verbrennt ihn – und dann geht sie wie verwandelt durch den Park, das Gesicht in Großaufnahme leuchtet vor Glück und engelhafter Schönheit. Erst die Liebeserklärung der Kamera an die Frau, dann die des Paares, jeder sagt: „Ich liebe dich“. Utopie oder Möglichkeit? Ein Mord als Beweis der Liebe und als ihre Zerstörung – nichts ist eindeutig. Gut und Böse, Täter und Opfer sind immer zwei Seiten einer Rolle.

Sechs Jahre nach „Die untreue Frau“ sind es Romy Schneider und ihr Geliebter, die ihren Ehemann umbringen (wollen). Die Mordpläne verselbstständigen sich in solch überraschenden Wendungen, dass das Ehepaar wieder zueinander findet, die Frau aber zuletzt alles gewonnen und alles verloren hat („Die Unschuldigen mit den schmutzigen Händen“, 1974). Von ihrem schmierigen Anwalt muss sie sich noch erklären lassen: „Wir leben in einer Männerwelt, mit Gesetzen, die gemacht sind von Männern für Männer.“

Dagegen schickt Chabrol nun Isabelle Huppert in den Ring, mit der er seit nunmehr 30 Jahren zusammenarbeitet. Mit den Waffen einer Frau kämpft sie gegen die erdrückende Enge der Familie, als Engelchen und Flittchen, als Engelmacherin und Giftmischerin, ein doppelbödiger Charakter voller Widersprüche in „Violette Nozière“ (1977) und in „Eine Frauensache“ (1988). Im Team mit Sandrine Bonnaire streckt sie in „Biester“ (1995) mit großkalibrigen Jagdgewehren eine Fabrikantenfamilie nieder; die beiden schießen auch noch die Bibliothek als Inbegriff bürgerlicher Kultur in Fetzen. Und in „Das Leben ist ein Spiel“ (1997) bildet sie mit Michel Serrault ein Gaunerpaar, das bei den reichen Leuten nur so viel Beute einsteckt, wie der Staat als Steuer verlangt.

In „Geheime Staatsaffären“ (2006) schließlich ist Huppert die Ermittlungsrichterin Jeanne Charmant-Killman, die Piranha genannt wird. Immer wieder bringen der Regisseur und sein Star die Vertreter der Macht und des Machtrauschs aus der Fassung, mit einer Geste, einem Bild.

Gier, Lüge, Eifersucht, Scheinheiligkeit: Die chabrolschen Todsünden erscheinen wie bei seinem Vorbild Hitchcock als Phantome des Banalen. Nur bricht das Verbrechen bei Hitchcock von außen in die heile Welt ein, Chabrol spürt es bevorzugt in seiner Welt auf, in der Bourgeoisie. Bourgeoisie bedeutet für den Sohn einer Pariser Apothekerfamilie, der seine Karriere wie so viele als Filmkritiker bei den „Cahiers du cinéma“ begann: eine Klasse, ein Bewusstseinszustand. Chabrol zeigt die Abgründe hinter repräsentativen Fassaden und deckt auf, wie luxuriös so ein bürgerliches Monstrositätenkabinett ausgestattet ist.

Dafür wurde er schon als Maoist, Faschist und Feminist abgestempelt. Dabei geht er nur souverän mit den Instrumenten um, mit denen er seine Objekte seziert: Ironie und Distanz, je nachdem versetzt mit Wut oder Milde, mit süßem Gift oder klassischer Abgeklärtheit, mit Sarkasmus, aber auch mit Verständnis.

Aus einer Rolle hat er nie ein Hehl gemacht; er ist der Feinschmecker, der seine Sittenbilder nach passendem Rezept serviert: schwarze Komödien, bürgerliche Dramen, melodramatische Thriller, soziale Satiren. Vom frühen Provinzdrama am Anfang der Nouvelle Vague bis zu „Kommissar Bellamy“, einer Detektivgeschichte, in der Gérard Depardieu ein Verbrechen aufklären soll, ohne etwas zu klären zu können, sind es fast 60 Kinofilme. Am heutigen Donnerstag feiert Claude Chabrol seinen 80. Geburtstag.

Helmut Merker

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