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Kultur: Graue Panther

Gregor Dotzauer warnt vor den Greisen des Prix Goncourt Nichts gegen ältere Menschen: Mit einem Hauch von Anstand schimpft man nicht auf die Zukunft Westeuropas – und mit etwas Eigennutz verkneift man sich voreilige Triumphe. Trotzdem lässt sich der Hinweis nicht vermeiden, dass der Altersdurchschnitt der zehn Juroren, die derzeit über den Prix Goncourt befinden, gefährlich nahe beim Alter von Frankreichs berühmtester Literaturauszeichnung liegt.

Gregor Dotzauer warnt vor den Greisen des Prix Goncourt

Nichts gegen ältere Menschen: Mit einem Hauch von Anstand schimpft man nicht auf die Zukunft Westeuropas – und mit etwas Eigennutz verkneift man sich voreilige Triumphe. Trotzdem lässt sich der Hinweis nicht vermeiden, dass der Altersdurchschnitt der zehn Juroren, die derzeit über den Prix Goncourt befinden, gefährlich nahe beim Alter von Frankreichs berühmtester Literaturauszeichnung liegt. Mit der Ausrufung von JacquesPierre Amettes Roman „La Maîtresse de Brecht“ (Verlag Albin Michel) ist sie am Dienstag 100 Jahre alt geworden. Die Hälfte der Jury bewegt sich jenseits der 80, und ihre Vorsitzende Edmonde Charles-Roux führt die Liga der Eminenzen mit 83 Jahren an. Es folgen in Gestalt von Jorge Semprun und Michel Tournier zwei 79-Jährige, und nach einer 73-Jährigen gehören überraschend zwei 58-Jährige zu den Juroren: Ob die schon für voll genommen werden?

„Beware of old men, they have nothing to lose“, hat George Bernard Shaw einmal gewarnt. Die Grauen Panther vom Prix Goncourt aber hatten außer ihrem Ruf einiges zu verlieren – unter anderem das Recht der ersten Annonce im Pariser Preisherbst. Also gingen sie zwei Wochen vor dem vereinbarten Termin an die Öffentlichkeit und düpierten unter anderem die Konkurrenz vom Prix Fémina. Entscheidend ist, dass sie selbst zum Jubiläum wieder nichts gewagt haben. Für jeden deutschen Verlag wäre ein Roman über eine erfundene Geliebte von Bertolt Brecht eine Lachnummer: Hat der Frauenvielfraß nicht so gewütet, dass kaum eine Fiktion an die Fakten herankommt? Man muss schon ein verwegener Franzose sein, um dem Ganzen auch noch einen Stasikrimi in der Ostberliner Nachkriegsintelligentsia einzuweben: Maria Eich, Brechts Mätresse, arbeitet als Spionin im Dienst der DDR. Jedenfalls empfiehlt es sich nicht, als höherer Konfektionär anzutreten. Doch genau das tut der 60-jährige Amette. Sein Roman ist ein sorgfältig recherchiertes und manierlich geschriebenes Werk aus der Schreibfabrik eines Begierdedeutschen, der neben seinem Beruf als Literaturkritiker des Wochenmagazins „Le Point“ hierzulande fast unbemerkt 19 Romane, zehn Theaterstücke und zwei Erzählungen veröffentlicht hat. Auf seiner Website amette.free.fr rühmt er sich mehrerer Aufenthalte in Hamburg, Berlin und – tja – Pforzheim. Auf diesen Hort schriftstellerischer Inspiration wäre unsereiner nie gekommen. Wir träumen eben noch immer von Paris.

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