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Kultur: Grell und klar

Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker bringen die „Walküre“ konzertant auf die Bühne.

Nach Wotans Fluch über Brünnhilde bricht nackte Panik aus. So klirrend und schrill, dass man noch einmal begreift, warum der Mensch die Musik erfunden hat. Was den Verstand übersteigt, was Worte und andere Wohltemperiertheiten nicht fassen können, bricht sich Bahn: heißester Zorn, beißender Schmerz, Herzrasen, Seelenschrei. Ob Vorspiel, Walkürenritt oder Feuerzauber, es sind Kraftakte der Verzweiflung, Krieg bis aufs Blut. Die totale Verausgabung: Simon Rattle stachelt die Philharmoniker zum Äußersten an, zum entfesselten, den Krach nicht scheuenden Klang. Grandios – aber es bringt Probleme mit sich.

Schon 2006, als die Berliner in Aix-enProvence ihren „Ring“ starteten (die „Walküre“ hatte 2007 Premiere), war die Richtung klar. Während Christian Thielemann in Bayreuth seinen impressionistischen „Ring“ aus der Taufe hob, ging Rattle expressionistisch zu Werke. Eingedunkelter Tuttiklang und schärfste Konturen nun auch bei der konzertanten „Walküre“ in der Philharmonie. Blitzblank putzt Rattle die mythische Saga, mit kraftmeierischer Verve, aber auch mit schutzlos offen daliegenden Wunden. Man ist erschlagen hinterher, überwältigt und taub – oder schreit ekstatisch auf, wie mancher Zuhörer beim Schlussjubel am Sonntagabend.

Man könnte auch sagen, Rattle hat vergessen, dass er nicht im Orchestergraben steht. Mit Ausnahme der Walküren treten die Sänger ganz vorne an die Rampe und legen eine derartige Stimmgewalt an den Tag, als müsse eine riesige Opernbühne gefüllt und ein gehöriger Abstand zum Publikum überwunden werden. Kurz, sie sind zu laut, nutzen kaum die Chance für Zartheiten, Zwischentöne, Farbnuancen, wie sie in den betörenden Soli von Wenzel Fuchs’ Klarinette, Dominik Wollenwebers Englischhorn oder Ludwig Quandts Cello aufscheinen. Vor lauter Elan und Format geben sich die Sänger unfreiwillige Blößen: Evelyn Herlitzius legiert ihre Brünnhilde mit einem Panzer aus Eisenerz, Terje Stensvolds jovialer Wotan und Mikhail Petrenkos sonorer Hunding zerkauen Vokale und Silben, während Fricka dank Lilli Paasikivis vorzüglicher Deklamationskunst zur Karikatur eines zänkischen Weibs verzerrt wird.

In der Halbtotale wären all die Grellheiten zu verschmerzen, in der Dauer-Nahaufnahme überspannt und überanstrengt es die Sinne. Dass obendrein im begrenzten Rahmen geschauspielert wird (man ballt Fäuste, befingert Rattles Pult in Liebesekstase, und Hunding stürmt im Kampf gar vom Zuschauerraum auf die Bühne), macht die Sache nicht besser.

„Walküre“ als Turbo-Comic auf höchstem Niveau, ein interessantes Experiment. Wobei Christian Elsner und Eva-Maria Westbroek (die schon in Aix dabei war) als Siegmund und Sieglinde den Abend retten: Ihre unverkrampft lyrische Manier, ihre orchesterumtoste Stimmschönheit macht das Zuviel an orgiastischer Konvulsion für Momente vergessen. Und auch Wotan/Brünnhilde befreien sich im finalen Vater-Tochter-Duell von den Zwängen der Extrem-Emotion. Christiane Peitz

wieder am 23. und 27. Mai, 17 Uhr

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