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Kultur: Grenzen der Pietät

Seine Antennen seien stets ausgefahren, sagt Norman L. Kleeblatt über sich selbst: Stets sei er auf der Suche nach neuen Sichtweisen, Techniken, Interpretationen.

Seine Antennen seien stets ausgefahren, sagt Norman L. Kleeblatt über sich selbst: Stets sei er auf der Suche nach neuen Sichtweisen, Techniken, Interpretationen. Kleeblatt ist der Direktor des Jüdischen Museums in New York. Als Kind musste er mit seinen Eltern aus Nazi-Deutschland fliehen. Seine eigenen Großeltern und die seiner Frau wurden ebenso im Holocaust getötet wie eine Reihe von Tanten, Onkeln und Cousinen. "Ich wünschte, ich könnte sagen, dass ich deshalb diese Show abziehe", sagt er.

Wie ein Magnet zieht Kleeblatt den Zwist an. Zwei der kontroversesten Ausstellungen des Jüdischen Museums hat er organisiert. Die eine hieß "Too Jewish". Darin waren unter anderem Handtücher zu sehen, die mit dem Monogramm "JEW" bestickt waren, und eine ironisch gemeinte Sammlung von jüdischen Nasen. Die andere hieß "The Dreyfus Affair" und stellte Antisemitisches zur Schau. Jetzt sorgt Kleeblatt wieder für Furor. Bereits mehrere Wochen, bevor am 17. März seine neue Ausstellung eröffnet wird, überschlagen sich die Medien. Vom "Wall Street Journal" über "Newsweek" bis zur "New York Times" streiten sie über das Konzept. Keiner von ihnen hat die knapp zwanzig, zum Teil großen Kunstwerke der 13 Künstler aus acht Ländern gesehen. Lediglich einige Reproduktionen sind im Umlauf.

Die neue Ausstellung heißt "Mirroring Evil: Nazi Imagery / Recent Art". Nach Auschwitz, hat Adorno gesagt, sei es barbarisch, ein Gedicht zu schreiben. Dass Auschwitz selbst zum Gegenstand der Kunst wird, bereitet entsprechendes Unbehagen. "Wie lässt sich der Unterschied feststellen zwischen dem Kunstwerk eines Nazi-Sympathisanten und demjenigen eines hippen zeitgenössischen Künstlers, der mit dem Feuer der Populärkultur spielt?", fragt besorgt die "New York Times". Selbst die geplanten Diskussionsforen, Filme und Vorträge beruhigen die Zeitung nicht.

Was wird gezeigt? Da ist etwa das "Giftgas Giftset" von Tom Sachs. Dessen Werk besteht aus Zyklon-B-Kanistern, auf die Namen und Logos von "Chanel", "Hermès" und anderen Parfum-Marken geklebt wurden. Dann ist da das "Lego Concentration Camp Set" von Zbigniew Libera. Das sei, sagt Kleeblatt, von den Theorien Michel Foucaults inspiriert. Als nächstes ist das Selbtsporträt von Alan Schechner zu sehen, der ein Foto von sich selbst in die berühmte Aufnahme montiert hat, die bei der Befreiung des KZ Buchenwald entstanden war. Auf dem Foto hat Schechner eine Cola-Dose in der Hand, im Hintergrund stehen die abgemagerten Häftlinge. Ein anderer Künstler, Mischa Kuball, hat aus Sperrholz ein großes Kreuz gebaut. Darüber werden per Video deutsche Filme ausgestrahlt, so dass der Schatten der Installation ein Hakenkreuz wirft.

Alle Künstler sind zwischen dreißig und vierzig Jahre alt. Die Werke älterer Künstler, die sich ebenfalls mit dem Holocaust beschäftigt haben, wie David Levinthal oder Art Spiegelman, wurden bewusst nicht berücksichtigt. "Diese neue Generation", sagt Kleeblatt, "hat den Holocaust nicht direkt erlebt. Was sie darüber wissen, ist vermittelt durch die Populärkultur, durch Filme und Cartoons. Das hat ihre Wahrnehmung geprägt." Alle Kunstwerke würfen neue Fragen auf. Eine dieser Fragen formuliert Kleeblatt selbst: Was sind die Grenzen der Pietätlosigkeit?

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