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Bei langen Gesprächen an der Atlantikküste kommen sich Danny (Alicia Vikander) und James (James McAvoy) näher.

© Warner Bros.

"Grenzenlos" von Wim Wenders im Kino: Rausch der Tiefe

Meeresökologie und Dschihad: Wim Wenders bringt in seinem Liebesfilm „Grenzenlos“ große Themen zusammen.

Von Andreas Busche

Die Schwärze ist undurchdringlich. Es existiert keine Außenwelt mehr, nicht mal als entfernte Geräuschkulisse. Nur absolute Dunkelheit. Überleben ist in dieser aussichtslosen Lage nur durch Flucht in die Erinnerung möglich. Die Erinnerung stirbt nie: das Gesicht einer Frau, gerahmt von zwei Händen. In großer Entfernung (oder doch in greifbarer Nähe?) fällt Licht in das schwarze Vakuum. Der Mann bewegt sich unter Schmerzen darauf zu, streckt seinen Arm ins Licht. Die Hand kommt aus einem Loch in der Wand eines Lehmhauses zum Vorschein, ein afrikanischer Junge mit Fußball ergreift sie. Der Mann lebt, noch.

Licht und Dunkelheit sind die Essenz des Kinos. Das Spiel dieser Gegensätze hat Wim Wenders schon immer fasziniert, wohl nicht zufällig hat er zwei seiner schönsten Filme, „Alice in den Städten“ und „Im Lauf der Zeit“, in Schwarzweiß gedreht. Im Schwarzweiß-Material besitzt Licht eine malerische Qualität, es kann das Leben in feinsten Grauabstufungen einfangen. In der Welt der Farben gehen solche Nuancen oft verloren, dort bilden Licht und Schatten ein Gegensatzpaar. Hell oder dunkel. Leben oder Tod.

Die Biomathematikerin Danny (Alicia Vikander, zuletzt als Lara Croft im Kino) glaubt nicht an diesen Gegensatz und sie ist angetreten, den wissenschaftlichen Beweis zu erbringen – Tausende von Metern tief, auf dem Grund des Meeres. Die Tiefsee besteht aus fünf Schichten, erklärt sie dem Ingenieur James (James McAvoy). Bis zum Mesopelagial 1000 Meter unter dem Meeresspiegel dringt noch blaues Licht durch, darunter – im Hadal, dem „Totenreich“ der Ozeane – herrscht absolute Finsternis. Hier, in der Nähe der Erdkruste, wo nicht mehr Photosynthese, sondern chemische Reaktionen den Kreislauf des Ökosystems bestimmen, vermutet die Biomathematikerin den Ursprung irdischen Lebens. Und dessen Zukunft.

Sie geht tauchen, er jagt Terroristen

Die Wege von Danny und James kreuzen sich in Wim Wenders’ Liebesfilm „Grenzenlos“ für ein Wochenende in einem Luxushotel an der Atlantikküste. Sie bereitet sich auf den wichtigsten Tauchgang ihres Lebens vor – in einem gelben Unterseeboot, natürlich –, er muss nach Kenia, wo er ein NGO beim Bau einer Trinkwasseranlage berät. Tatsächlich arbeitet James für den britischen Geheimdienst MI6. Er soll in Somalia eine islamistische Terrorzelle ausheben.

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Ihr zartes Anbandeln – Dannys Avancen sind deutlich offensiver – erinnert an Richard Linklaters Urlaubsromanze „Before Sunrise“, der Austausch von Weltanschauungen und Lebenserfahrungen bewegt die Herzen. Ein klassisches Liebesideal. Auch dahingehend, dass sie – obwohl Wissenschaftlerin – noch eine fast romantische Vorstellung vom Leben hat, während er, der zynische Agent, die Welt nur im Rahmen der Realpolitik betrachten kann. Doch für einen Moment ist die Wirklichkeit suspendiert. Wenders findet – anders als zuletzt Kollege Schlöndorff – eine dem Gefühl des Verliebtseins eigene Balance zwischen Kitsch (Spaziergänge am Strand, Liebesgeflüster am Kamin) und Sinnlichkeit, die man ihm gar nicht zugetraut hätte. Doch dann bricht die Realität über dem Liebespaar herein, die Wege von Danny und James trennen sich. An diesem Punkt wird es dann wirklich verrückt: In Somalia angekommen, fällt James Dschihadisten in die Hände.

Um emotionale Entgrenzung geht es bei Wenders nicht

Der krasse Bruch hat nur bedingt mit Wenders zu tun, er ist in der Romanvorlage „Submergence“ des früheren Kriegsreporters J. M. Ledgard angelegt. Der Titel „Submergence“ – das Eintauchen – trifft sogar noch viel mehr auf den Film zu als auf den Roman, dessen Erzählung offener, fragmentarischer wirkt. Der deutsche Filmtitel „Grenzenlos“ ist insofern eine Mogelpackung, denn um Entgrenzung geht es Wenders nicht – leider. Die Quelle des Lebens in den Tiefen des Ozeans und der Dschihad, die Todesmetapher unserer Zeit. Ökosystem gegen Gewaltsystem. Gar nicht auszudenken, was ein Werner Herzog aus diesen existenziell schwerwiegenden Sinnbildern herausgeholt hätte. Dazu dräuende Gedanken über den Zustand der Welt.

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Stattdessen führen Danny und James in ihrer wachsenden Verzweiflung meist Selbstgespräche im Flüsterton. Sie wartet auf eine SMS, nichtsahnend, dass James am anderen Ende der Welt um sein Leben kämpft. Er flüchtet sich in die Erinnerung an das gemeinsame Wochenende. Sein einziger Verbündeter in dem somalischen Dorf ist der Arzt (Alexander Siddig), der seinen hippokratischen Eid auf den Dschihad geleistet hat. Er erkennt in James einen ebenbürtigen Gesprächspartner, seine fehlgeleitete Überzeugung ringt James wiederum stille Bewunderung ab.

Angesichts solch großer Themen fällt Wenders Regie eindeutig zu konventionell aus. „Grenzenlos“ leidet vor allem aber darunter, dass seine Protagonisten die meiste Zeit voneinander getrennt sind. Ein anderes Mittel als die Parallelmontage fällt ihm dann auch nicht ein, um die räumliche Distanz zu überwinden. Wenders war zu Beginn seiner Karriere mal groß darin, den emotionalen Stillstand seiner Figuren mit empathischer Neugier zu kaschieren, er vermochte die Zeit mittels Montage und Kamerabewegungen zu modellieren. Von einer Neugier, den Dingen auf den Grund zu gehen, ist in „Grenzenlos“ wenig zu spüren – selbst als sich der Film schließlich auf Tauchfahrt begibt. Wenders arbeitet aufwendig auf diesen Höhepunkt (auch in der Karriere seiner Protagonistin) hin, doch als Danny den Meeresgrund erreicht, versagen demonstrativ die Systeme. Die Forschungscrew sitzt im Dunkeln fest.

Der Film bleibt unentschlossen zwischen Esoterik und Moral

Die Verzahnung von Meeresökologie (Leben) und Geopolitik (Gewalt) durch eine Liebesgeschichte ist an sich schon starker Tobak, der einigen erzählerischen Wagemut erfordert – gerade weil ein Film mit solchen Themenbrocken unbedingt aus der Binnenperspektive des Erzählers heraustreten muss. Ihn dann aber wie einen normalen Liebesfilm zu erzählen, zeugt schon von einem gehörigen Maß an Blauäugigkeit. „Grenzenlos“ bleibt hier unschlüssig: Auf die Esoterik seines Gedankenspiels will er sich nicht komplett einlassen, dann müsste der Film in die Sphären transzendentaler Vergeistigung – wie der späte Terrence Malick – aufsteigen. Das wäre zumindest eine streitbare Position. Oder er bleibt dem Ermessensspielraum der Realpolitik treu. Aber auch dieser Schritt hat bei Wenders den Beigeschmack moralischen Dünkels. Als der Oberfundamentalist (Reda Kateb) durch die Fenster einer Hütte eine Familie vorm Fernseher entdeckt, schmeißt er eine Handgranate ins Wohnzimmer.

Wenders’ Kino zieht eine klare Linie zwischen Leben und Tod, die Natur ist da evolutionstechnisch schon weiter. An einem Felsen auf den Färöer Inseln entdeckt Danny eine seltene Spezies: halb Pilz, halb Cyanobakterie. „In der Natur“, erklärt sie, „verläuft die Grenze zwischen Leben und Nicht-Leben fließend.“

Ab Donnerstag in 8 Berliner Kinos, OmU: Babylon Kreuzberg, Hackesche Höfe, Kulturbrauerei, Odeon

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