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Grips-Leiter Philipp Harpain

© Katrin Kraemer

Grips-Theater: Ein Enkel darf das

Wie Philipp Harpain, der neue Leiter der Grips-Theaters, mit Gründer und Übervater Volker Ludwig zurechtkommen will.

Wenn man Philipp Harpain fragt, ob er schon angekommen sei im neuen Job, schaut er ungefähr so, als hätte man sich erkundigt, ob er denn auch Kaffee getrunken habe heute morgen. Angekommen? „Na klar, ich bin mittendrin“. Seit dem vergangenen Dezember laufen Umbesetzungsproben, er hat fünf neue Schauspieler unter Vertrag genommen, momentan wird für drei Uraufführungen geprobt. Da bleibt keine Zeit für Standortbefragungen. Volle Kraft voraus.

Philipp Harpain ist der neue Leiter des Grips-Theaters. Sicherlich das drittschönste Amt der Welt, gleich nach Papst und SPD-Vorsitz. Aber eben auch kein leichter Job. Berlins weltbekannte Kinder- und Jugendbühne besitzt eine ganz spezifische DNA, das hat der Gründervater und Geschäftsführer Volker Ludwig stets betont. Der vormalige Leiter Stefan Fischer-Fels, der im Sommer zurück nach Düsseldorf wechselt, war als Gentechniker angetreten. Auch wenn er stets versichert hat, das Erbgut des Hauses nicht verändern zu wollen. Es gibt keinen Grund, seine Intendanz im Nachhinein schlechtzureden: Fischer-Fels hat viel gewagt und viel gewonnen. Nur ist es ihm und Ludwig nicht gelungen, ihre Differenzen über die Ausrichtung des Hauses in produktive Bahnen zu lenken.

Harpain ist ein erfahrener Theaterpädagoge

Das soll mit Harpain anders werden. Der Mann ist erfahrener Theaterpädagoge, er hat in Neustrelitz, Bremen und an der Parkaue Berlin gearbeitet, bevor er 2003 ans Grips wechselte – auf Betreiben des damaligen Dramaturgen Fischer- Fels. Als Chef soll Harpain jetzt versöhnen statt spalten. „Bestimmte Konflikte sind ja ausgetragen, ich genieße mehr Freiheiten und fange nicht bei null an“, betont er in glaubhafter Gelassenheit. Wo Stefan Fischer-Fels mit Volker Ludwig klassische Vater-Sohn-Querelen auszufechten hatte, sieht sich der Nachfolger eher in der Enkelrolle. Nicht altersmäßig, er ist auch schon 49. Aber hinsichtlich der größeren Milde. Der Enkel darf Opa gegenüber auch mal frech werden, ohne dass es gleich kracht. Philipp Harpain verzichtet auch darauf, sich selbst ein Label zu verpassen, so à la: der sanfte Modernisierer. Er ist, im besten Sinne, der Typ Bühnenarbeiter, der was auf die Beine stellen will, statt visionäre Linien zu entwerfen. Was ihm aus der Theaterpädagogik zugutekommt, wie er findet: „Ich kenne das Publikum. Ich kenne es nicht nur, ich habe mit ihm gearbeitet.“

Also begehe er nicht den Fehler, bei der Wahl der Stoffe nur von sich selbst und seinem Blick auf die Welt auszugehen. „Kinder“, sagt Harpain, „wachsen heute in einer anderen Wirklichkeit auf als vor zehn Jahren.“ Dem will er mit seinem Spielplan Rechnung tragen. Er sei als Verwalter des Volker-Ludwig-Museums bestellt, haben manche geunkt, als Harpains Ernennung im vergangenen Jahr bekannt wurde. Juckt ihn nicht, ist nicht sein Thema.

Er mag Geschichten - keine postdramatischen Klimmzüge

Harpain hat ein vielversprechendes Programm für seine erste Spielzeit auf die Beine gestellt. Nadja Sieger – eine Künstlerin mit Clownshintergrund  – inszeniert Goerg Pillers „Aus die Maus“, es geht um Obdachlosigkeit. GripsRoutinier Yüksel Yolcu bringt Jürgen Todenhöfers „Inside IS“ (siehe S. 25) auf die Bühne, weil Harpain feststellte, „dass der Krieg näherrückt in den Schulen und die Jugendlichen zwingt, sich zu positionieren – ohne dass es Raum für echte Dialoge gäbe“.

Milena Baisch, Autorin des Erfolgsstücks „Die Prinzessin und der Pjär“, liefert mit „Laura war hier“ eine Odyssee durch ein Berliner Mietshaus, in dem verschiedene Familienmodelle unter einem Dach versammelt sind. Volker Ludwig schreibt die Liedtexte dazu. Und Susanne Lipp dramatisiert mit „Nasser“ die Lebensgeschichte von Nasser El-Ahmad aus Neukölln, der als Sohn einer strenggläubigen libanesischen Familie nach seinem Outing als schwuler Mann ziemlich harte Kämpfe auszutragen hatte.

„Ich mag Geschichten“, sagt Harpain. Postdramatische Klimmzüge braucht er nicht. Ihm fällt auch kein Zacken aus der Krone, wenn er zusätzlich zu den Projekten noch die Fortsetzung des Konzertstücks „Die fabelhaften Millibillies“ ins Programm nimmt. Grips-Lieder gibt es ja so viele, dass man daraus bis 2030 Best- of-Abende kompilieren könnte. Harpain hätte auch andere Ideen gehabt, aber gut, das Sequel war „ein ausdrücklicher Wunsch des Ensembles“.

Die Offenheit, die Diskussionsfreude - das gefällt Harpain am Grips

Ein bisschen wirkt er wie der Jugendtrainer eines Erfolgsclubs, den man unversehens zum Chefcoach befördert hat. Er kennt den Verein und kann in Ruhe an seiner eigenen Taktik feilen, ohne so tun zu müssen, als erfände er den Fußball neu. Harpain hat am Grips die Theaterpädagogik erst wirklich aufgebaut, er hat Kinderkongresse organisiert, die für die Rechte der Jüngsten stritten, er hat schon vor elf Jahren die Initiative „Jugendliche ohne Grenzen“ mit Geflohenen am Haus gegründet, die mit dem Aktionsprogramm „Hiergeblieben“ tourte. Einmischen jenseits von Hansaplatz und Podewil will sich der neue Leiter auch weiterhin. „Das mag ich am Theater“, sagt er, „wenn es über die Bühne hinaus reicht“.

Wenn man Philipp Harpain fragt, was großartig sei und was nerve am Grips- Theater, beantwortet er zumindest die erste Frage ohne lange nachzudenken: „Die Offenheit hier. Die Diskussionsfreude, die Nähe untereinander“. Harpain hat das Grips-Gremium erweitert, das über den Spielplan bestimmt, er will noch mehr Demokratie wagen. Und, was nervt? Er überlegt. „Dauert halt manchmal. Mit vielen Leuten zu reden, sich vieles anzuhören“. Aber gut, das ist jetzt Teil seines Jobs. Daran hat er sich schon gewöhnt. Patrick Wildermann

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