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Auf die Barrikaden! Zimmermannsgeselle Frieder (Paul Jumin Hoffmann) will sich nicht länger von der Obrigkeit gängeln lassen.

© dpa

Grips-Theater spielt „Die Geschichte von Jette und Frieder“: Revolutionäre Knolle

Was die deutsche Revolution von 1848 mit der jungen Generation von heute zu tun hat: Das Grips-Theater zeigt eine gelungene Bühnenversion von Klaus Kordons Roman „Die Geschichte von Jette und Frieder“.

Kann eine Kartoffel politisch sein? Für Frieder schon. Nur drei Knollen will der Zimmermannsgeselle, um sie seiner liebsten Jette vor die Tür zu legen, wie jeden Tag. Was ihm acht Monate Haft in der Hausvogtei einbringen wird. Am Zeitgeschehen ist Frieder eigentlich gar nicht interessiert, aber die explosionsartige Teuerung der Grundnahrungsmittel treibt den Kartoffel-Casanova auf die Barrikaden. Wir schreiben das Jahr 1847, und in Berlin fängt es an zu rumoren. Die Proteste beginnen mit knurrenden Mägen. Und wachsen sich aus zur Märzrevolution, die Schloss und Königsthron zum Beben bringt.

Der großartige Jugendbuchautor Klaus Kordon erzählt in seinem Roman „1848 – Die Geschichte von Jette und Frieder“ ein Kapitel deutscher Vergangenheit aus der Perspektive von Heranwachsenden, die bis dato nur gottgegebene Herrschaft kennen. Aber allmählich realisieren, dass die Schere zwischen Arm und Reich kein Naturzustand ist. Aus den 500 Seiten hat der Dramatiker Thilo Reffert („Mein Jahr in Trallalabad“) jetzt fürs Grips-Theater eine Zweieinhalbstundenfassung gefertigt, die den fiebrigen Sturm-und-Drang- Geist der Vorlage einfängt und zugleich die Vormärz-Verhältnisse mit der Gegenwart verlinkt. Erfreulich ist das allein schon, weil das Kinder- und Jugendtheater gewöhnlich ziemlich geschichtsblind bleibt und soziale Schieflagen einzig im Hier und Heute ansiedelt. Da wirkt der Blick zurück auf die Tage der Massenerhebung unter schwarzrotgoldenem Banner sehr erhellend.

Revolutionsdrama als unpathetischer Appell

In der Regie von Grips-Routinier Frank Panhans spielt Maria Perlick die 15-jährige Jette, die unter kläglichen Bedingungen aufwächst. Schwester Guste (Alessa Kordeck) muss auf den Strich gehen, um sich und den unehelichen Sohn Fritzchen durchzubringen. Dienste, die auch der reiche Hausbesitzer Flatow (Jens Mondalski) gern mal in Anspruch nimmt. Dennoch setzt er die Familie ohne mit der Wimper zu zucken vor die Tür, als Jette sich ihm verweigert. Das tugendhafte Mädchen hat eben nur Augen für den gutherzigen Frieder (Paul Jumin Hoffmann), der mitgerissen vom Studenten Michael (Kilian Ponert) seine Politisierung erlebt und sich als Volkskönig Friedrich Wilhelm zum Vorkämpfer aufschwingt. Bis ihm die Kugeln um die Ohren fliegen.

Auf der schlichten Bühne von Jan A. Schroeder – ein paar Holzpaletten und rollende Tische zum Wohnungs- und Barrikadenbau genügen – setzt Regisseur Panhans dieses Revolutionsdrama als unpathetischen Appell an Freiheits- und Gerechtigkeitssinn in Szene. Gemünzt auf die Jugend von heute. Nicht nur die Elektrobeats und Samples von Musiker Stefan Faupel schaffen Gegenwart. Die Schauspieler adressieren auch immer wieder ganz direkt das Publikum und provozieren dazu, die Werte und Forderungen der Märzrevolutionäre weiterzudenken.

Ein bisschen Agitprop

Was wäre, wenn es ein Wohnrecht für alle gäbe? Wenn unsere Turnschuhe nicht in sogenannten Billiglohnländern von Minderjährigen produziert würden? Wenn Kinderarmut in Deutschland nicht nur Sommerlochthema wäre? Das hat zweifelsohne Agitprop-Charakter. Aber Refferts tolle Fassung verliert darüber nie die eigentliche Geschichte aus dem Blick. Sie schärft nur das Bewusstsein dafür, auch in einer Kartoffel das Politische zu sehen.

Weitere Aufführungen bis 21. Juni sowie im September.

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