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Kultur: Grips und Gips

Von Henning Klüver Die Mailänder Scala ist im Exil: Draußen am Stadtrand residiert das Traditionshaus bis auf weiteres im so genannten Teatro degli Arcimboldi, einem 28 Millionen Euro teuren Neubau, der extra für die Zeit der Renovierung des Stammhauses errichtet wurde. Derweil sind in der „alten“ Scala bereits die Handwerker am Werk.

Von Henning Klüver

Die Mailänder Scala ist im Exil: Draußen am Stadtrand residiert das Traditionshaus bis auf weiteres im so genannten Teatro degli Arcimboldi, einem 28 Millionen Euro teuren Neubau, der extra für die Zeit der Renovierung des Stammhauses errichtet wurde. Derweil sind in der „alten“ Scala bereits die Handwerker am Werk. Die Instandsetzung des Zuschauersaals und der Umbau des Bühnenturms sollen nach 859 Arbeitstagen abgeschlossen sein. Für den 7. Dezember 2004 ist die Wiedereröffnung gepant. Die Baustelle wird Tag und Nacht von Fernsehkameras überwacht. Schließlich soll kein Unglück, wie beim abgebrannten Teatro La Fenice in Venedig, den Zeitplan durcheinander bringen.

Das ehrgeizige Projekt stammt von Mario Botta und wird rund 40 Millionen Euro kosten. Notwendig wurden die Arbeiten spätestens seit 1997, als Feuerwehr und Bauaufsicht das historische Gebäude wegen technischer Mängel schließen lassen wollten. Der Spielbetrieb konnte nur durch Ausnahmegenehmigungen bis zum Ende des Verdi-Jahres 2000/2001 aufrecht erhalten werden.

Mit einem modernen Bühnenhaus soll jetzt endlich auch Platz für schnelle Umbauten und den Einsatz mehrerer Bühnenbilder geschaffen werden, um, wie Intendant Carlo Fontana sagt, „die Zahl der Aufführungen um bis zu 30 Prozent zu erhöhen.“ Doch nicht überall werden das Botta-Projekt und die Entscheidungsfreudigkeit der Mailänder Stadtverwaltung begrüßt. Die „Legambiente“, ein einflussreicher Verband zum Schutz von Umwelt und Kulturgütern, hat bei der Staatsanwaltschaft Klage wegen eines möglichen „Schadens für die urbane Landschaft“ eingereicht, obgleich Kulturministerium und Denkmalschutzamt bereits Zustimmung signalisiert haben. Auch Künstler wie die Primaballerina Carla Fracci möchten die Arbeiten möglichst schnell stoppen lassen. Und die linken Oppositionsparteien der von Berlusconis Forza Italia regierten Stadt bemängeln fehlende Klarheit bei der Vergabe des Projektes an Botta, das der historischen Bausubstanz „Gewalt antun“ könnte.

Das Teatro alla Scala wurde 1778 von Giuseppe Piermarini erbaut, der Zuschauersaal 1830 umgestaltet und in diesem Stil auch nach dem verheerenden Bombenangriff der Alliierten auf Mailand 1943 wieder hergestellt. Neben der Scala entstand zudem im 19. Jahrhundert ein Verwaltungstrakt, der mit immer neuen kleinen Dachaufbauten bis zum heutigen Tag von oben den Eindruck eines orientalischen Marktes macht. Das Bühnenhaus wurde in seinen jetzigen Maßen 1937 errichtet. Botta plant nun unter anderem, das Bühnenhaus um fünf Meter zu erhöhen und die gesamte Breite des Scalabaus auszunutzen. Hinter der neoklassizistischen Fassade würde also ein neuer quadratischer Baukörper sichtbar werden - ein „hässlicher Klotz“, sagen die Kritiker. Zusätzlich möchte der Tessiner Stararchitekt über dem benachbarten Verwaltungstrakt einen elliptischen Aufsatz schaffen, um so die vielen kleinen Um- und Aufbauten abreißen zu können und schließlich einen alten Innenhof wiederzugewinnen.

Jetzt ist der Vorschlag laut geworden, doch erst einmal aus Gipsplatten die neuen Bauvolumen zu errichten, um ihre Wirkung zu prüfen. Dann könnten die Bürger vielleicht in einem Referendum über ihre neue alte Scala abstimmen.

Bürgermeister Albertini fürchtet dagegen, in diesem Fall die Termine nicht halten zu können. Um den Mailändern das Exil der Oper im Teatro degli Arcimboldi schmackhafter zu machen, plant die Stadtverwaltung, eine Riesenleinwand auf die Piazza della Scala zu stellen, um die Aufführungen wenigstens virtuell so schnell wie möglich wieder ins Stadtzentrum zu bringen.

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