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Küchenpoesie. 1978 malte Mikhail Roginsky die „Bottles on the shelf“ mit Acrylfarbe auf Papier.

© M. Roginsky Foundation / ACS London 2014

Große Mikhail-Roginsky-Retrospektive: Leben auf Pappe

Mit der großen Retrospektive „Beyond the Red Door“ holt Venedig den russischen Maler Mikhail Roginsky zurück auf den Markt.

Der Vergleich machte ihn verlässlich wütend. Mikhail Roginsky, ein Pop-Artist? Einer, der dem Konsum huldigt und ihn verführerisch lackiert auf die Leinwand bringt? Er sei kein Vertreter der Pop Art, hat er zu Lebzeiten gepoltert. Auch wenn der russische Maler Töpfe, Möhren und Handtücher zu seinen Sujets machte, Regale voller Flaschen malte oder 1965 jene rote Tür, durch die man nun symbolisch seine erste große Retrospektive „Beyond the Red Door“ in Venedig betritt.

Das Bild, das wie ein Readymade aussieht, tatsächlich aber aus Holz dreidimensional konstruiert ist, hängt sonst in der Moskauer Tretjakow-Galerie. Roginsky gilt als Vorreiter der russischen Nonkonformisten. Und obgleich er 1978 nach Paris emigrierte, wird seine Malerei in Russland ebenso von den Museen geschätzt wie von privaten Sammlern. Zumal sich die Preise auch zehn Jahre nach seinem Tod auf erstaunlich niedrigem Niveau bewegen. Zuletzt wurde in Paris im Juni ein kleines Querformat von 1988 für 1600 Euro zugeschlagen, ein größeres Format ging 2013 bei Sotheby’s in London für 10 000 Euro weg. Teuer wird es nur, wenn es sich bei einem Los wie 2010 in Moskau um Rokinskys bekannte Flaschenmotive handelt: Die Leinwand von 1960 erzielte 84 910 Euro.

Das Glück der Sammler offenbart jedoch auch ein Dilemma, an dem die aktuelle Werkschau mit ihren knapp 120 Werken und dokumentarischen Filmbeiträgen etwas ändern soll. Roginsky spielt international eine marginale Rolle, in Europas Museen ist er kaum präsent. Was verblüfft angesichts des originären Werks, in dem expressive auf neusachliche Tendenzen treffen und sich auf eigenwillige Art mit dem Sozialistischen Realismus aus Roginskys Heimat vermischen. Seine Interieurs wirken wie gefaltet, die Schriftzeichen vieler Bilder dem Comic-Genre entlehnt und der Fokus auf Jacken, Bügeleisen oder flammenden Gasplatten in der Küche tatsächlich wie ein Gruß an die Pop-Art-Künstler mit ihrer Faszination für banale Alltagsdinge. Keiner von ihnen aber hat die Motive so direkt und unspektakulär wiedergegeben wie Roginsky, aus dessen Malerei stets ein Mangel aufscheint.

Er hat mit den konkreten Lebensbedingungen des Malers zu tun, der sich häufig Pappkartons zurechtschnitt, weil für Leinwände kein Geld vorhanden war. Aber auch mit seiner Suche nach einer neuen, universellen Sprache, der Roginsky geradezu obsessiv nachspürte: Was es in der Malerei der Moderne gab, war ihm zu konventionell.

Seine mangelnde Wahrnehmung hierzulande mag in der unterbrochenen Karriere gründen, denn in Paris konnte oder wollte sich der Künstler gesellschaftlich nicht verankern. Vielleicht auch in dem biografischen Detail, dass der 1931 in Moskau Geborene an der dortigen Kunsthochschule Bühnenbild studierte und sich bis Ende der Fünfzigerjahre von Provinztheatern engagieren ließ. Sicher aber hat es mit dem Werk selbst zu tun, dessen Schöpfer nie an einer konsistenten Sprache interessiert war, sondern immer neue Einflüsse für Veränderungen nutzt – biografische Stationen ebenso wie den Eindruck, den andere Künstler auf ihn machten. Philip Guston gehört zweifellos dazu. Der Stil des amerikanischen Malers schimmert in Bildern wie „Pour résoudre le problème de logement“ (1986) oder „Shirt“ von 1991, die schnöde Gegenstände symbolhaft aufladen. Darin mag auch das Missverständnis gründen: Guston, der in seinen illusionslos konstruierten Szenen ebenfalls vom unmittelbaren Einfluss der Dinge auf die Psyche erzählt, mag in seinem Spätwerk ab 1966 auf die Pop Art reagieren. Ihr braver Schüler ist er jedoch genauso wenig wie der zwanzig Jahre jüngere Roginsky.

Wer Letzteren nun für einen Eklektiker hält, der übersieht die Komplexität seines Werks, das aufsaugt, um einen eigenen Kosmos zu schaffen. Ihn versucht die Retrospektive sichtbar zu machen in halb chronologisch, halb thematisch geordneten Räumen: mit Stillleben, anonymen Porträts, Interieurs, Pariser und späten imaginären Moskauer Impressionen. Zwei Filme erläutern, wie sehr sich Roginsky mit den Fragen der Malerei auseinandersetzt. Die Ausstellung findet im Centro Studi sulle Arti della Russia statt, einer universitären Einrichtung, die sich dem russischen Kulturerbe widmet. Deren Direktorin Silvia Burini spricht von Roginskys „architektonischer Sicht“ – eine Eigenheit, die aus seiner Zeit als Bühnenbildner resultieren mag und erklärt, weshalb die Ausstellung offiziell Teil der Architektur-Biennale ist. Obwohl sie ungleich besser 2015 aufgehoben wäre, wenn in Venedig alternierend die Kunstbiennale stattfindet.

Für die Mikhail-Roginsky-Stiftung als eine der Organisatoren zählt aber jedes Jahr. Sie wurde erst 2013 von Roginskys Witwe Liena Chelia-Roginsky gegründet, die zwar jünger als ihr Mann, aber ebenfalls betagt ist. Für die finanzielle Basis sorgt die russische Sammlerin Inna Bazhenova. Als Präsidentin und selbst im Besitz von Arbeiten des Künstlers treibt sie natürlich ein vitales Eigeninteresse. Gleichzeitig macht der Zustand vieler Bilder, die von der Witwe so gut wie möglich und dennoch nicht adäquat verwahrt wurden, die Dringlichkeit finanzieller Unterstützung deutlich. So ist die Retrospektive ein Gewinn für alle – vor allem für den, der Roginsky noch nicht kennt.

Mikhail Roginsky, Centro Studi sulle Arti della Russia, Dorsoduro 3246/D, Venedig; bis 28. September

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