Kultur: Große Schönheit, grober Unfug
Kein starker Jahrgang, dieses 2013. Entsprechend disparat fällt unsere Wahl aus. Bei knapp 600 gestarteten Filmen war dann aber doch für jeden was dabei.
LA GRANDE BELLEZZA
Regie: Paolo Sorrentino
Des Lebens ein wenig
müde sein. Die Schönheit aber lieben wie immer. Des Lebens also doch nicht müde werden. So kann’s gehen.
BLAU IST EINE
WARME FARBE
Regie: Abdellatif Kechiche
Der Liebe nie müde
werden, auch wenn alles
darauf weist, dass sie
ermüdet. So muss es
gehen.
INSIDE LLEWYN DAVIS
Regie: Joel & Ethan Coen
Alles geht schief. Aber
wie gut!
HAI-ALARM
AM MÜGGELSEE
Regie: Leander Haußmann, Sven Regener
Anderthalb Gags bei 104
Minuten Komödienlänge? Geht gar nicht.
THE ACT OF KILLING
Regie: Joshua Oppenheimer
Wenn Massenmörder Regie führen: Die Doku über indonesische Todesschwadronen erhellt die Verstrickung von Fantasie und Verbrechen mit einer Wucht, wie man sie
bisher nur von Lanzmann
und Ophüls kannte.
BLUE JASMINE
Regie: Woody Allen
Wenn Frauen auf der Regie
über ihr Leben beharren:
Cate Blanchett als
Borderlinerin im steilen
Abwärtsflug: furios.
MUTTER UND SOHN
Regie: Calin Peter Netzer
Wenn Mütter zu Monstern
werden: Viele tolle Filme aus Osteuropa gab es dieses Jahr. Der hier über eine Bukarester Oberschichtsgattin
war der beste. Goldener Bär!
LEIDER VERPASST
Regie: ich selber
Wieder viel zu viel im Kino
verpasst: „Frances Ha“,
„Take This Waltz“, die Coens, Polanski, Jarmusch ... Blech für mein Zeitmanagement.
DIE JAGD
Regie: Thomas Vinterberg
Wie aus Gutmenschen
Denunzianten werden – ganz nah dran am wirklichen
Leben.
LIBERACE – ZU VIEL DES
GUTEN IST WUNDERVOLL
Regie: Steven Soderbergh
Wie man aus Liebe Luftschlösser baut – ganz weit weg vom wirklichen Leben.
BLUE JASMINE
Regie: Woody Allen
Wie man am wirklichen Leben scheitert – weil Luftschlösser nicht als Behausung taugen.
TO THE WONDER
Regie: Terrence Malick
Tändeln, Tanzen, Taumeln, Wabern, Wogen, Wehen –
visueller Liebeskitsch,
hemmungslos.
FRANCES HA
Regie: Noah Baumbach
Greta Gerwigs tapfere Ritterin des Ungefähren ist mit
Abstand die liebenswerteste Filmfigur, die in diesem Jahr über die Leinwand stolperte.
DJANGO UNCHAINED
Regie: Quentin Tarantino
Immer noch bringt kein
anderer Filmemacher so viel cineastische Energie auf die Leinwand.
TAKE THIS WALTZ
Regie: Sarah Polley
Der lebenskluge Beziehungs- und Trennungsfilm zeigt, wie in der Liebe die Sehnsucht nach Optimierung dem Finden des Glücks im Wege steht.
PASSION
Regie: Brian de Palma
Im europäischen Förderexil von Meisterhand gedrehte Altherrenfantasie voll
unfreiwilliger Komik.
INSIDE LLEWYN DAVIS
Regie: Joel & Ethan Coen
Wegen des Katers. Wegen John Goodman und Justin
Timberlake. Wegen der
grandiosen Musik. Und weil Oscar Isaac in der Titelrolle sein Scheitern einfach
nicht wahrhaben will –
bis Bob Dylan kommt.
PACIFIC RIM
Regie: Guillermo del Toro
Sorry, guilty pleasure. Aber wenn Riesenroboter und
Alienmonster, ganze
Metropolen zermalmend,
aufeinander einkloppen,
bin ich dabei.
BEFORE MIDNIGHT
Regie: Richard Linklater
Sie küssen und sie streiten sich: Eine der schönsten
Langzeit-Filmromanzen
zerschellt – vielleicht – am
Alltag. Ergreifend und
wahrhaftig.
MAN OF STEEL
Regie: Zack Snyder
Eigentlich bewundernswert: eine Viertelmilliarde Dollar für aufgeblasenen Mumpitz zu verballern und trotzdem mit einem ordentlichen Plus aus der Nummer rauskommen.
LONE RANGER
Regie: Gore Verbinski
Ein grandioses finanzielles Desaster in der Tradition von „Heaven’s Gate“, genauso unerbittlich, aber viel unterhaltsamer.
ONLY GOD FORGIVES
Regie: Nicolas Winding Refn
Schon aus Trotz, weil alle
ihn hassen. Und wegen
Kristin Scott Thomas als
ordinärer Monster-Mutter
im Madonna-Look.
BLUE JASMINE
Regie: Woody Allen
Weil Cate Blanchett ein
darstellerisches Wunder
vollbringt: Virtuosität gepaart mit Lockerheit.
DER SCHAUM DER TAGE
Regie: Michel Gondry
Unerträglich originalitätssüchtig, penetrant verspielt. Man sollte die Kategorie „Blech“ in „Schaum“ umbenennen.
KOHLHAAS ODER DIE
VERHÄLTNISMÄSSIGKEIT DER MITTEL
Regie: Aron Lehmann
Einer Kleist-Verfilmung
im tiefen Bayern platzt die
Förderung – und siehe da:
Wo kein Geld ist, kann endlich Kunst werden. Frisch, frech, fröhlich, frei.
DJANGO UNCHAINED
Regie: Quentin Tarantino
Rache ist Blutwurst. Und Christoph Waltz brillant.
QUELLEN DES LEBENS
Regie: Oskar Roehler
Schön und seltsam
anzuschauen, die Generation Gartenzwerg in der guten
alten Bee Err Dee.
ELYSIUM
Regie: Neil Blomkamp
Ein platter Actionreißer,
verkauft als anspruchsvolle
Science Fiction. Wird hier die Zwei-Klassen-Gesellschaft und -medizin kritisch beleuchtet? Ach was! Und: Arme
Jodie Foster.
ZAYTOUN
Regie: Eran Riklis
Der garantiert beste Film
des Jahres über die große Reise eines kleinen Olivenbaums. Und über seine
Reisegefährten.
PRINCE AVALANCHE
Regie: David Gordon Green
Der garantiert beste Film
des Jahres über den texanischen Straßenbau. Und über die Poesie von gelben Mittelstreifen.
HOUSTON
Regie: Bastian Günther
Der garantiert beste Live-
Report des Jahres aus der Wirklichkeitsblase des
Headhunters Clemens Trunschka alias Ulrich Tukur.
ONLY LOVERS LEFT ALIVE
Regie: Jim Jarmusch
Die Gegenwart nur als Schmerz fühlen können? Und alles Leben liegt im Gestern? Der miserabelste Vampirfilm des Jahres. Weil er so viel mehr wäre ohne Eckzähne.
JAURÈS
Regie: Vincent Dieutre
Blicke aus einem Pariser
Fenster, kommentiert durch eine raffinierte Toncollage: Film in reduziertester Form und doch mit allem, was
großes Kino ausmacht.
UNTER MENSCHEN
Regie: Christian Rost,
Claus Strigel
Erschütternder Dokumentarfilm über das, was wir unseren äffischen Verwandten
antun. Und ein paar Menschinnen, die – kleiner Trost –
praktische Abbitte für diese Schuld leisten.
NO!
Regie: Pablo Larraín
Politische Spielfilme, die sich mal nicht in den Dienst einer (selbstverständlich immer
guten) Sache stellen, gibt es viel zu selten. Dieser ist noch dazu höchst amüsant und
brillant gemacht.
APPLE STORIES
Regie: Rasmus Gerlach
Wichtiges Thema. Doch der Film verhunzt es so, dass selbst die Mac-Feindin aus Trotz fast ein iPhone
gekauft hätte.
LA GRANDE BELLEZZA
Regie: Paolo Sorrentino
Wenn die Sehnsucht ins Leere geht: Sorrentino
verwandelt römischen
Karneval in ein flanierendes Trauerstück. Desillusion als pure Kino-Magie.
LEVIATHAN
Regie: L. Castaing-Taylor,
Verena Paravel
Zwölf kleine Kameras und ein Schiff auf hoher See: Ein
hypnotischer Strom aus Bild und Geräusch, unerklärlich schön und schön furchtbar. Der beste Horror des Jahres.
ANINGAAQ
Regie: Jonás Cuarón
Der Sohn des „Gravity“-Regisseurs zeigt in seinem kurzen Beifilm jenen Inuk, dessen Stimme Sandra Bullock per Funk in den Absturz begleitet – und vertieft rückwirkend
die Wucht des Hauptwerks.
THE GRANDMASTER
Regie: Wong Kar-Wai
In sieben Jahren Arbeit hat Wong offenbar den Überblick verloren. Und ließ sein
Material auch noch zwangsverstümmeln – von Harvey Weinstein, dem Trampel
unter den US-Verleihern.
TAKE THIS WALTZ
Regie: Sarah Polley
Eine neue Liebe lässt
Vertrautes fremd erscheinen – in dieser Dreiecksgeschichte,
flirrend leicht erzählt.
HANNAH ARENDT
Regie: Margarethe v. Trotta
Ein Kunststück: Die politische Philosophin wird als zweifelnde, auch irrende Drama-Queen lebendig.
MEINE KEINE FAMILIE
Regie: Paul-Julien Robert
Der behutsame dokumentarische Blick zurück in eine
Kommune-Kindheit, die
unter dem Diktat der
Selbstbefreiung stand.
NACHTZUG
NACH LISSABON
Regie: Bille August
Die portugiesische
Nelkenrevolution verkommt
in diesem faden Melodram zum Süßmittel für einen Eurofilmpudding.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid:
- showPaywallPiano:
- false