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Kultur: Großer alter Sohn

Nagib Machfuz, der ägyptische Literaturnobelpreisträger, ist für seinen Humor bekannt. Er hätte die Hommage, die ihm am Donnerstagabend in Berlin zuteil wurde, sicher gutgelaunt kommentiert.

Nagib Machfuz, der ägyptische Literaturnobelpreisträger, ist für seinen Humor bekannt. Er hätte die Hommage, die ihm am Donnerstagabend in Berlin zuteil wurde, sicher gutgelaunt kommentiert. Die Vertretung der Arabischen Republik Ägypten widmete nämlich ihre erste öffentliche Veranstaltung seinem 90. Geburtstag. Der eigensinnige Machfuz hatte ihn freilich bereits am 11. Dezember gefeiert. Damals aber war die Gesandtschaft im alten Botschaftsviertel am Tiergarten noch nicht fertig.

Nun sind zwei Monate Verspätung angesichts einer 5000-jährigen Geschichte eigentlich nicht der Rede wert, und entscheidend ist ohnehin die symbolische Geste: Nagib Machfuz tritt für Freiheit, soziale Gerechtigkeit und einen pragmatischen Islam ein. "Ägypten ist stolz auf den würdigen Sohn eines großen Volkes", sagt Seine Exzellenz, Herr El-Orabi. Der Abend zeigt, wie delikat diese Würdigung ist, mit der der Botschafter die Hand zur Völkerverständigung ausstreckt.

Die glorreiche Vergangenheit, der der Schriftsteller entsprossen ist, stellt das Botschaftsgebäude von Samir Rabie & Assoc. nach. Sein strenger, beinahe geschlossener Baukörper aus drei aufeinander folgenden Kuben beherbergt in seiner Mitte eine an Pyramidengrabkammern erinnernde Versammlungshalle. In die weißen Marmorplatten sind links und rechts Halbreliefs mit Sklaven und einer Pharaonin geschnitten. Die daneben in Grau ausgeführten Sicherheitssteckdosen sowie die lichte Höhe des Glasdachs bringen allerdings die Ansprüche der Gegenwart zur Geltung.

In dem daran anschließenden, mit warmen Holzplatten ausgekleideten Raum spielt dann die Musik: Erst erklingen live Violine, Nay und Oud, die ägyptische Gitarre, dann rauscht vor der Glaswand zum kleinen Garten eine Leinwand herab, und ein Video zeigt eine hübsche Schlagersängerin, die singend durch einen Konzertsaal wirbelt. Zweimal leuchtet hinter ihr ein Foto des lachenden Nagib Machfuz und eines anderen Mannes auf. Diesen Söhnen Ägyptens huldigt die tunesische Sängerin: Seht, was die Ägypter Großes geschaffen haben!, singt sie und verschenkt an dankbare junge männliche Zuhörer Rosen.

Auf der Videokassette folgt nun nicht der angekündigte "Dokumentarfilm über das Leben und Schaffen von Nagib Machfuz" vom State Information Service of Egypt, sondern die Ansagerin einer vergleichbaren Institution, des Ersten Deutschen Fernsehens. Sie kündigt ein Machfuz-Porträt von 1988 an, in dem der Autor oft zu Wort kommt, weil einige erläuternde Passagen zur ägyptischen Geschichte und Gegenwart unsanft entfernt worden sind. Ihre Kenntnis darf beim Publikum ja vorausgesetzt werden.

Nach einem weiteren musikalischen Intermezzo unternimmt die Übersetzerin von Machfuz, Doris Kilias, eine Tour de Force durch dessen realistisches und allegorisches Werk. Von den 37 Romanen, 16 Erzählbänden und unzähligen Drehbüchern liegen auf Deutsch immerhin 16 Romane und 2 Erzählbände vor, darunter "Die Midaq-Gasse" und "Die Kinder unseres Viertels". Knapp erwähnt die Übersetzerin das 1994 von islamistischen Fanatikern verübte, beinahe tödliche Attentat auf Machfuz. Ungenannt bleibt, dass sich ägyptische Verleger danach über das Verbot der islamistischen Al-Azhar Universität hinwegsetzten und "Die Kinder unseres Viertels" von 1959 erstmals veröffentlichten. Oder dass Machfuz nach den Anschlägen vom 11. September warnte: "Die einzige Gewähr für Sicherheit ist Gerechtigkeit."

Angesichts gewalttätiger innenpolitischer Konflikte den "würdigen Sohn" von teilweise zensierten deutschen Stimmen preisen zu lassen, ist so besonnen wie listig - und könnte aus einem Roman von Machfuz stammen.

Jörg Plath

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