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Kultur: Großer Bahnhof

Zum 70. Geburtstag widmet Berlin seinem Architekten Josef Paul Kleihues eine große Retrospektive

Wenige Architekten haben eine vergleichbare Karriere erlebt wie Josef Paul Kleihues. Als er 1979 die Leitung der Neubauabteilung der Internationalen Bauausstellung (IBA) übernahm, konnte er nicht all zu viel vorweisen: Bis dahin hatte sich der gebürtige Westfale vor allem als Theoretiker einen Namen gemacht. Er hat unter anderem bei Hans Scharoun in Berlin studiert und gründete hier 1962 sein erstes eigenes Büro. Gleichwohl waren bereits seine frühen Bauten richtungsweisend. So hat er Mitte der Siebzigerjahre mit dem Bau des Wohnkomplexes am Vinetaplatz in Wedding seinen Ruf als Stadtreparateur begründet: Erstmals wurde in West-Berlin eine Blockrandbebauung wiederhergestellt, mit Eingängen an allen vier Seiten.

Kleihues hat sich zunächst am Alltäglichen abgearbeitet: Er hat – exemplarisch – den Betriebshof der Berliner Stadtreinigung in Tempelhof als monumentales Großgebäude gestaltet, als eine Demonstration des Architektonischen an einem unerwarteten Ort. Aber es wäre falsch, Kleihues allein für seinen Sieg über die Berliner Verhältnisse zu würdigen. Dass die Ausstellung „Josef Paul Kleihues. Stadt – Bau – Kunst“ zu seinem 70. Geburtstag, den er am heutigen Mittwoch feiert, nun im Hamburger Bahnhof stattfindet, jenem Gebäude, das er selbst zu schönster Wirkung hat herrichten können, unterstreicht seine Bedeutung für Berlin. Was Kleihues für das Profil der Stadt getan hat, ist kaum zu ermessen.

Man erinnere sich nur an die Bauausstellung: Er versammelte damals eine Riege international bedeutender Architekten, die bis heute zum Renommee des Stadtbildes beitragen. In der südlichen Friedrichstadt haben sie ihre Spuren hinterlassen. So sind in der Geburtstagsausstellung folgerichtig Entwürfe von Aldo Rossi, Arata Isozaki, Oswald Mathias Ungers, Hans Kollhoff und James Stirling zu sehen. Es mag nicht immer zum Besten gewesen sein, was seine Kollegen realisierten; den öffentlichen Diskurs über zeitgenössische Baukunst beförderte es allemal.

Mit seinen eigenen Bauten griff Kleihues in die Gestaltung der wiedervereinigten Hauptstadt prominent ein. Das gilt vor allem für die beiden zunächst umstrittenen Flügelbauten am Pariser Platz. Was er unter dem Stichwort der „Kritischen Rekonstruktion“ zur Linken und zur Rechten des Brandenburger Tors errichtete, galt manchen Kritikern als mediokre Wiederholung der Vergangenheit. Tatsächlich war es Kleihues darum zu tun, die Sprache der Tradition zu vergegenwärtigen.

Das hat er auf spektakuläre Weise auch mit der Erweiterung des Hamburger Bahnhofs bewiesen. Zunächst galt es, einen heruntergekommenen Funktionsbau des 19. Jahrhunderts zu reaktivieren. Die Halle des Bahnhofsgebäudes gab den Maßstab vor, den Kleihues in seinem Erweiterungsbau aufnahm. Mit der tageslichterhellten Seitenhalle erweist er dem Vorgängerbau seine Reverenz und verschafft dem „Museum für Gegenwart“ einen strahlenden Auftritt. Wer hier eintritt, lässt alle Trübsal fahren.

Nicht immer ist er mit seinen Bauten so glücklich gewesen. Am Lützowplatz steht ein Ensemble von Wohnbauten der Siebzigerjahre, das heute bereits als abrisswürdig eingeschätzt wird. Es wird wohl kaum noch lange dauern, bis der Bagger kommt – weder die Bewohner noch der Architekt halten an dem Entwurf fest, der für eine kleinere Stadt als das gegenwärtige Berlin gemacht zu sein scheint. Dennoch ist dieses gegenwärtige Berlin, siehe Bauausstellung, nicht zuletzt Kleihues’ Werk.

Seinen größten Beitrag zur Veränderung der City hat Josef Paul Kleihues an der Kantstraße beim Bahnhof Zoo geleistet: das Haus mit dem Segel, das Kant-Dreieck. Leider ist es nach zehnjähriger Planungszeit (1984 – 1994) bislang nicht so hoch, wie es hätte sein sollen; noch immer macht seine gedrungene Gestalt darauf aufmerksam, dass etwas an seiner von Kleihues geplanten Größe fehlt. Doch die Idee, ein Haus als Zeichen zu setzen, als Signal inmitten der gleichförmigen Stadt, hat ihre Wirkung getan.

Es ist das Bild dieses Segel-Hauses, das den Prospekt der ab morgen für das Publikum geöffneten Ausstellung schmückt. Von der Kantstraße, von der Stadtbahn, von überallher sieht man diesen markanten Bau, dessen Spitze sich im Wind dreht. Kleihues hat immer von einer „poetischen“ Rekonstruktion der Stadt gesprochen. Das ist ihm in der Kantstraße wie auch mit den beiden Bauten am Pariser Platz gelungen. Er hat dies auch anderswo getan: Mit dem Museum for Contemporary Art in Chicago setzte er in einer harten, kalten Stadt eine Landmarke, die an das von ihm verehrte Vorbild Schinkel erinnert. Kleihues gehört zu den wenigen zeitgenössischen deutschen Architekten, die heute weltweite Anerkennung genießen.

An das preußische Architekturgenie Karl Friedrich Schinkel zu erinnern, bleibt Kleihues’ großes Bedürfnis. Die Bauakademie, die Schinkel einst leitete, will er wiederbeleben: ein Paradeprojekt „kritischer Rekonstruktion“. Doch der Hauptstadt mangelt es bisher an dem Willen, den großen Plan auch durchzuführen. Es ist nicht allein eine Frage des Geldes; schließlich haben Kleihues und verwandte Geister schon vor einem guten Jahrzehnt die nötigen Grundlagen dafür geschaffen. Damals war die Bauindustrie bereit, die Mittel bereitzustellen. Doch Berlin leistet sich nach wie vor nicht gerne, was Aufsehen erregt – einmal mehr fehlt es der Stadt an Tempo.

Josef Paul Kleihues ist Präsident einer Akademie, die auf dem Papier steht. Möge es ihm – und Berlin – gelingen, die Idee doch noch zu verwirklichen.

Hamburger Bahnhof, Invalidenstraße 50/51, 12. Juni – 31. August. Der Katalog erscheint im Nicolai Verlag auf deutsch und auf englisch (192 Seiten, ca. 200 Abb., 24, 90 Euro).

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