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Kultur: Großkampftag

Der israelische Choreograf Nir de Volff zeigt im Berliner Dock 11 „Picnics, Weddings and Funerals“

Von Sandra Luzina

Vier Hochzeiten und ein Todesfall – das wäre eine viel zu optimistische Rechnung für Nir de Volff. In seinem neuen Tanzstück „Picnics, Weddings and Funerals“ gehen Leben und Sterben zusammen. Aber es sind vor allem die sozialen Rituale, die der israelische Choreograf aufs Korn nimmt, und bald weiß man nicht mehr, ob die Tänzer sich bei einem Picknick langweilen, einer Hochzeit anöden oder einer Beerdigung zermürben. Ein weißes Festzelt aus Plastik steht auf der Bühne des Dock 11. Anfangs saust ein Hähnchen am Seil auf den Rost. Die Dauer der Bühnenfeier bemisst sich ziemlich genau an der Grillzeit des Broilers. Und die ganze Zeit hat man den Geruch brutzelnden Fleischs in der Nase.

Das Brautpaar ist hier nur symbolisch anwesend – als gemaltes Plakat in Nah-Ost-Hochzeits-Ästhetik. Braut und Bräutigam tragen leicht vampirhafte Züge. Die Gäste beäugen sich kritisch bei ihren Konversationsversuchen. Nir de Volff greift dabei zu einem Trick, den man aus Filmen kennt. Auch die Gedanken der Figuren sind vernehmbar. Was sie über ihn denkt und er von ihr will, ist indes recht absehbar. Florian Bilbao als verheirateter Mann unterzieht die kühle Ariel Cohen einem ausgiebigen Body-Check und schweift in sexuelle Fantasien ab. Die Single-Frau mit antrainierter Dating-Kompetenz durchschaut ihn sogleich – ihr Urteil fällt weniger schmeichelhaft aus. Auch bei den beiden anderen Zufallsbekanntschaften hat der eine Mühe, sich den anderen vom Leib halten. Doch trotz aller Fluchtreflexe stürzt die Gruppe sich in den kollektiven Taumel. Der ganze Horror von Feiern mit Fremden, der nur von Feiern mit Familie übertroffen werden kann, wird heraufbeschworen: die ungelenken Annäherungen, die in verzweifelte Fummelversuche münden. Der forcierte Frohsinn, der umkippt in Aggression. Die Begierden, die schließlich in nackte Torschlusspanik münden. Neta Shlain ist der Unglücksrabe unter lauter Party- und Paarungswütigen. Sie erwartet ein Kind, hat sich aber von ihrem Freund getrennt. Und dann ist auch noch ihr Vater gestorben, die Beerdigung hat ihre letzten Ersparnisse aufgefressen.

Der israelische Choreograf und Tänzer Nir de Volff ist bekannt für seinen offensiven Witz. Er macht sich nicht nur über seine jüdische Identität lustig, er nimmt auch immer wieder kulturelle und sexuelle Stereotypen aufs Korn. Mit „Picnics, Weddings and Funerals“ beschließt er nun seine Trilogie über kollektive Rituale, die in Chaos, Kampf und Komik kulminieren. In „Matkot“ (Am Strand) konnte man Nir de Volff in Badehose erleben, wie er von der durchtrainierten Hyoung-Min Kim in die Beinzange genommen wird. In „Midbar“ (In der Wüste) halluzinierte er von schwangeren Bauchtänzerinnen – und verwandelte sich zuletzt in einen Karpfen, der fürchtet, wie seine Großmutter als Gefillte Fisch zu enden. Nebenbei mokiert Nir de Volff sich auch gern über seine Berliner Diaspora. In „Picnics, Weddings and Funerals“ hat er sich nun ganz auf das Choreografieren verlegt. Das ist schade, weil es nun keinen Komiker seiner Kampfklasse auf der Bühne gibt. Er lässt seine acht Tänzer zwar heftig kollidieren und kollabieren in einem „Clash of Happiness“ – doch das Stück scheint mit heißer Nadel gestrickt. Der Frohsinnsterror gipfelt in „Moskau Moskau“ von Dschinghis Khan. Und sobald ein Brautstrauß vom Bühnenhimmel fällt, mutiert die Gruppe zur Meute. Jeder Konkurrent beim Paarungswettbewerb wird gnadenlos umgenietet. Den Frustrierten bleibt am Ende nur die Wahl: Brust oder Keule. Nach 60 Minuten ist die Stimmung auf dem Tiefpunkt – aber das Grillhähnchen ist gar. Sandra Luzina

Wieder 5. u. 9./10./11.12., 20.30 Uhr

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