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Kultur: Grubenarbeiter

Trotzdem leben: Die Choreografin Toula Limnaios zeigt die Daseinsmeditation „Every single day“

Von Sandra Luzina

Ein feucht-modriger Geruch steigt den Zuschauern in die Nase, sobald Alexander Carrillo Ahumada zur Schippe greift. Für „Every single day“, die neue Produktion der Berliner Choreografin Toula Limnaios, wurde der Boden der Halle Tanzbühne mit Erde bedeckt. Es ist der dunkle Grund, in den die Tänzer sich regelrecht hineinwühlen. Ahumeda schaufelt schon, wenn das Stück beginnt. Er schichtet die Erde zu einem kleinen Hügel, es ist harte Arbeit, die Limnaios den Tänzern auferlegt – und dennoch hat es den Anschein, als ob sie sich nur ihre eigene Grube graben. Die Erfahrung der Absurdität liegt allen Stücken der Choreografin zu Grunde. Und oft sind es literarische Werke, die sie auf die Spur bringen. Für „Every single day“ beruft sie sich auf Albert Camus als Gewährsmann.

In seinem berühmten Essay „Der Mythos von Sisyphos“ aus dem Jahr 1942 hat er seine Philosophie des Absurden entfaltet. Auch „Every single day“ kreist um die Frage, „ob das Leben die Mühe, gelebt zu werden, lohnt oder nicht“. Zwar ist hier keiner der sieben Tänzer dazu verurteilt, bis in alle Ewigkeit einen Fels den Berg hinaufzuwälzen . Doch die Akteure sind wie Sisyphos in Aktionen verstrickt, die aussichtslos erscheinen – und veranschaulichen somit die Diskrepanz zwischen der Sehnsucht nach sinnvollem Handeln und der Gleichgültigkeit der Welt.

„Every single day“ ist selbst für Toula Limnaios, die bekennende Schwarzmalerin, ein düsteres Stück. Ein Brocken. Die Unausweichlichkeit des Todes wird immer wieder vor Augen geführt. Die Tänzer, die einer nach dem anderen aus dem Erdhügel aufsteigen, scheinen aus der Unterwelt zu kommen. Als Mayra Wallraffs Körper ausgebuddelt wird, bedeckt eine Maske ihr Gesicht. Blind taumelt der Mensch hier seinem Ende entgegen. Die Gruppe hebt die hilflose Kreatur empor, stützt sie bei jedem Schritt, doch der Sturz ist unvermeidlich. Immer wieder rappelt sie sich auf, strampelt sich ab – doch der Totengräber steht schon bereit. Diese Szene ist auf vordergründige Weise pathetisch geraten.

Toula Limnaios variiert in ihrem Versuch über das Absurde bekannte Motive des Theaters – und zitiert sich auch schon mal selbst. Wie Winnie in „Glückliche Tage“ von Beckett sind die Tänzer bis zur Taille in der Erde eingraben, ihr Bewegungsradius ist auf ein Minimum eingeschränkt. Der Kontakt mit der Erde zeichnet die Körper, wie Grubenarbeiter schauen die Performer die Zuschauer aus geschwärzten Gesichtern an. Und immer, wenn man denkt, dass es genug ist, dass es nicht mehr auszuhalten ist, fliegt ihnen wieder eine Schippe Sand um die Ohren.

Immer wieder gibt es Momente des Ausbruchs, des Aufbäumens. Versuche, der Vergeblichkeit zu trotzen. Den Mühen einen Sinn abzuringen. Wild entschlossen raffen die Tänzerinnen am Ende ihre Röcke, beladen sie mit Sand und versuchen so, den Hügel abzutragen.

Die Todesmetaphern werden von Limnaios arg ausgewalzt. Mit „Every single day“ stellt sie ihr komplett erneuertes Ensemble vor, noch reichen die jungen Tänzer nicht an die Expressivität und die wilde Tanzwut ihrer Vorgänger heran. Wenn sie buddeln, graben und durch die Erde pflügen, muten sie bisweilen wie Kinder an, die gern im Dreck spielen. Sandra Luzina

Halle Tanzbühne Berlin, Eberswalder Str. 10-11, Prenzlauer Berg. Wieder So, 31. Juni, 21 Uhr sowie, 4.-7. und 10.-13. August

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