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Kultur: Gründlich kritisch

Gesammelte Artikel des Filmjournalisten Volker Baer

Ein Netbook hatte er damals nicht, mit dem er die neueste Berlinale-Filmkritik schnell an die Redaktion hätte mailen können. Sondern er saß, wenn er die 30 Zeilen nicht noch schneller am Telefon durchdiktieren musste, etwa im Auto im Parkhaus, „eine kleine Schreibmaschine auf den Knien“. Und vertraute ihr einen jener streng knappen Gedankenbausteine an, mit denen damals die Festival-Extraseite des Tagesspiegels gefüllt wurde: so viele einspaltige Kurztexte wie möglich, damit kein Filmkünstler ohne Tagesspiegel-Kritik nach Hause fahren musste. Filmfotos, Interviews, Porträts, anderweitige unterhaltende Elemente? Fehlanzeige, weil Nebensache.

Volker Baer, der von 1960 bis 1992 Filmredakteur des Tagesspiegels war und dessen Zeitungstagewerk nun ein charmantes, durchaus hübsch illustriertes Buch in prägnanter Auswahl sammelt, steht für eine längst vergangene Epoche dieses Blattes, die doch noch immer seinen Nimbus prägt. Extrem gründlich, ausgesprochen sachlich und stets kritisch in seiner Berufsauffassung, gehörte er neben Heinz Ohff, Günther Grack und Sybill Mahlke zu jenem legendären Quartett, das jahrzehntelang für die Kulturberichterstattung auf Seite 4 zuständig war – selbstbewusst im Auftreten und doch bescheiden zurücktretend hinter den jeweiligen journalistischen Gegenstand.

Ein Inselbewohner war er, in mancherlei Hinsicht. Als 1930 in Nürnberg geborener Herzenswahlwestberliner natürlich, aber auch als Tagesspiegel-Mann, der zwar auf seiner sonntäglichen Filmseite viele Festivalberichte von den großen und auch kleineren Plätzen der Welt veröffentlichte, selber aber nur selten aus der Halbstadt herauskam. Als Vieltelefonierer in filmpolitischen Rechercheangelegenheiten erinnern ihn einstige Kollegen, als genussreichen Ziga ril lo -Raucher am Schreibtisch und, abseits des Stresses, auch als Mitarbeiterbetreuer von ausgesuchter Liebenswürdigkeit: So führte Volker Baer sein Blatt im Blatt.

„Nichts ist so langweilig wie die Zeitung von gestern, nichts ist so interessant wie eine Jahrzehnte alte Zeitung“, sagt er im ebenso ausführlichen wie kurzweiligen Interview mit Ralf Schenk. Eine zweifellos gründlich in der Lebenswirklichkeit recherchierte Behauptung, die die 115 ausgewählten Artikel aufs Schönste beglaubigen mögen. Jan Schulz-Ojala

Volker Baer: Worte/Widerworte, Texte zum Film 1958–2007. Hg. von Ralf Schenk, Schüren Verlag. 296 Seiten, 24,90 €

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