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Kultur: Grüne Ziege, starke Frau

Entdeckt: Ruth Landshoff-Yorcks venezianisches Romanabenteuer aus den Zwanzigerjahren

Der nächtliche Schutzengel war offensichtlich obdachlos, doch er sprach aus, was Madelin, das amerikanische Luxus-Girl, über ihre Freunde gedacht hatte: „Stelle dir vor, man nähme ihnen ihre Hotels, ihr Geld, ihre Zeitschriften, in denen sie in ihren neuen Kleidern abgebildet werden, sie wären dann wie Fische auf trockenem Sand.“ Mitten in der Nacht, auf der Piazza di San Marco, beschließt die bislang so verwöhnte Tochter, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen. Es wird ihr auch nichts anderes übrig bleiben, denn sie hat gerade ihr ganzes Vermögen verloren. Damit beginnt eine erstaunliche Wandlung von der ignoranten, an Kunst desinteressierten „grünen Ziege“ zur unerschrockenen Frau auf Entdeckungsreise; und dies ausgerechnet im morbiden Venedig, dem begehrten Sommer-Partyort der Zwanzigerjahre.

Ruth Landshoff-Yorcks kleiner Roman „Die Schatzsucher von Venedig“, ursprünglich für die „Berliner Illustrierte“ geschrieben, doch dann in den Wirren der Machtergreifung liegen geblieben, beginnt mit einem prunkvollen Abend, wie er „seit Voltaires und Olims Zeiten in Venedig nicht nur üblich, sondern sogar möglich war“, wie die Erzählerin süffisant anmerkt. Üblich ist in den Palazzi das Zusammentreffen von Geld und Geist; und möglich, im Sinne der Erzählerin, wird es immer dann, wenn die Gäste bereit sind, die Spielregeln zu verletzen. So wie der berühmte Theaterregisseur, „der Magier“, hinter dem unschwer Max Reinhardt zu erkennen ist, mit seiner naiven Fantasie den zuvor leichten Ton zunichte macht: Alles scheint plötzlich doppelbödig und zweifelhaft.

Ruth Landshoff, 1904 in einer wohlhabenden jüdischen Familie geboren und die Nichte von Samuel Fischer, war in Berlin eine Berühmtheit: wegen ihrer androgynen Schönheit, ihres künstlerischen Talents und ihrer Entschlossenheit, beruflich wie privat eigene Maßstäbe zu setzen. Die Heldinnen ihrer Romane – nur ihr Debüt „Die Vielen und der Eine“ konnte 1930 noch in Deutschland erscheinen, das wie der „Roman einer Tänzerin“ bei Aviva vorliegt – sind stets Seelenverwandte der Autorin. Mutig bis zu Tollkühnheit, verliebt in schnelle Autos und waghalsige Reisen, planen sie ihr Leben pragmatisch-kühl, um dann doch bedingungslos ihren Passionen zu folgen.

„Die Schatzsucher von Venedig“ nehmen eine Sonderstellung im schmal gebliebenen Werk Ruth Landshoffs ein, weil sie ihr eigenes Leben raffiniert hineinspiegelt: alle Lieblingsorte in Venedig und die Wohnung ihres Geliebten Karl Volmoeller im Palazzo Vendramin; die Theaterleidenschaft, den Schauspielunterricht bei Max Reinhardt und die erste große Stummfilmrolle.

Von der damaligen Avantgarde beeinflusst, schrieb die junge Autorin gegen die erfolgreiche Vicki Baum und deren unterhaltsame, psychologisch fein gezeichneten Romane drastisch-expressiv an, entwarf stark typisierte Figuren und prüfte die modische Welt mit spöttischem Blick. Bei ihren Figuren kommt unter zunehmendem existenziellen Druck nach der ersten Phase der Wut und des Trotzes ein tiefer, melancholischer Schmerz zum Vorschein; im Tiefsten suchen alle das Glück – ohne zu wissen, wie es aussieht. „Angenehm versnobt“ galt ihr erster Roman der zeitgenössischen Kritik – für die analytisch funkelnde Prägnanz dieser Autorin war das schon damals gewaltig untertrieben.

Ruth LandshoffYorck: Die Schatzsucher von Venedig. Roman. Erstausgabe aus dem Nachlass. Hg. von Walter Fähnders. Aviva Verlag, Berlin 2004. 166 S., 16,80 €.

Nicole Henneberg

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