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Kultur: Grüße an die Königin

Antrittsbesuch bei Erich Honecker: Ein niederländischer Botschafter erinnert sich an seine Zeit in der DDR

Niemand wird sich mehr daran erinnern, aber Dienstag, der 25. Juni 1985, war ein strahlender Tag. Ich weiß das noch, denn es steht in meinem Notizbuch. An dem Tag flog ich nach Berlin, genauer gesagt: Ost-Berlin, das; vom kommunistischen Regime zur Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik erhoben, von uns westlichen Ländern jedoch nie als Hauptstadt im wahren Sinne des Wortes anerkannt worden war. Manche Diehards aus der Ära des Kalten Krieges sprachen bis zum Untergang der DDR halsstarrig von der „Ost-„ beziehungsweise „Sowjetzone“.

Auf dem Flughafen Schönefeld erwartet mich stramm der Protokollchef des ostdeutschen Außenministeriums. Ich bin der neue Botschafter der Niederlande, und den muss er im Arbeiter-und-Bauern-Paradies geziemend begrüßen. Schon während wir vom Flugzeug zum kleinen Empfangssaal gehen, beginnt er im Eiltempo sämtliche Errungenschaften des marxistischen Regimes aufzuzählen und hier und da sogar beeindruckende statistische Daten einzustreuen: Dieses Jahr ist der Export um soundso viel Prozent gestiegen; dieses Jahr wurden soundso viele Wohnungen fertig gestellt; dieses Jahr wurden schon wieder mehr Autos produziert. Es ist erst Juni, sage ich, das heißt, das verspricht ja ein Topjahr zu werden. Er nickt ernst und weiß schon jetzt, daß der neue niederländische Botschafter sich sehr schnell von den Leistungen der DDR beeindrucken lassen wird.

Am Donnerstag, 27. Juni, ist das Wetter weniger schön – auch das habe ich notiert. Eine feuchtkalte Morgenbrise, ein grauer Himmel, von Regenwolken verhangen. Der Protokollchef fährt vor der von mir gerade bezogenen Amtswohnung vor, wo ich ihn in einem dezenten dunklen Anzug, einen gewichtig aussehenden Umschlag auf dem Schoß, erwarte. Darin steckt mein Akkreditiv, unterzeichnet von unserer Monarchin, die dem befreundeten Staatsoberhaupt, Herrn Erich Honecker, mitteilt, daß sie mich auserkoren habe, um unser Land bei seiner Regierung zu vertreten und dass ich durchaus ein anständiger Bursche sei und sicherlich imstande, die bereits bestehenden guten Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern weiter zu fördern. Diesen schönen Brief darf ich in Kürze Erich Honecker in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik überreichen.

Die lang gestreckte Limousine rauscht langsam und lautlos in Richtung des Amtssitzes des Vorsitzenden. Der Protokollchef wirft immer wieder einen kurzen Blick auf seine Uhr. Wir dürfen natürlich nicht zu spät kommen, doch ein zu frühes Vorfahren ist womöglich noch schlimmer. Er geht noch schnell das Zeremoniell mit mir durch. Dabei muss man immer gut aufpassen, denn es ist in jedem Land anders. Verbeugt man sich oder verbeugt man sich nicht, schüttelt man die Hand oder schüttelt man sie nicht, wie viele Schritte geht man auf das Staatsoberhaupt zu? Eine Art Tanzunterricht erteilt er mir, während wir, doch etwas zu früh, ein paarmal um den Alexanderplatz kurven. Das Zeremoniell ist bei uns sehr schlicht, sagt er. Also keine fröhlich swingende Darbietung unserer Nationalhymne, wie man sie in manchen afrikanischen Ländern zu Gehör bringt. Nun ja, schlicht: Immerhin ist eine martialische Ehrenwache angetreten, vom Felix-Dzierzynski-Regiment samt Musikkorps. Wir steigen aus. Befehle ertönen. In strammer Haltung lauschen wir dem sehr feierlich vorgetragenen Wilhelmus.

Zuschauer sind auch da, aber sie werden in gebührendem Abstand gehalten wie bei jedem öffentlichen Ereignis in der DDR. Der Kommandant der Ehrenwache erstattet mir Meldung, den blanken Säbel knapp an der Nase vorbei in die Höhe streckend, Helm tief in den Augen. Und dann schreite ich mit ihm die Truppe ab. Die Jungs sehen tipptopp aus. Ich danke dem Kommandanten für den Auftritt, und dann gehen wir in Honeckers Palast hinein. Eine gemütliche Bleibe ist es nicht. Kahle, feuchtkalte leere Korridore und Säle. Der Protokollchef macht mich auf die hohen Glasmalereifenster aufmerksam. Darstellungen vierschrötiger, entschlossen dreinschauender Männer auf Traktoren und Bulldozern. Dazu passende Frauen, ebenfalls emsig bei der Arbeit. Mein Begleiter gibt überflüssige Erläuterungen. Ich täusche höchstes Interesse an den marxistischen Bildern vor. Wenn man sich vorstellt, dass an ebendieser Stelle einst das monumentale Stadtschloss der deutschen Kaiser stand – aber das haben Walter Ulbricht und seine Kumpane sehr schnell in die Luft gejagt, nachdem sie die Herren in Ost-Berlin geworden waren. Später erfahre ich, dass es ihnen ebenso schnell leid getan hat.

Nun heißt es warten mit dreien meiner Mitarbeiter, die mich bei diesem Antrittsbesuch begleiten dürfen. Plötzlich schwingen hohe Türen auf, ein unermesslich großer Saal liegt vor uns, und ja, da in der Ferne steht Oberhaupt Erich, umringt von einigen anderen hohen Tieren. Wir müssen tüchtig ausschreiten, um sie nicht zu lange warten zu lassen.

Meine Gefährten und ich nehmen Aufstellung, ich trete die vorgeschriebenen Schritte vor und halte eine kurze Ansprache des Inhalts, wie gern ich mich dafür einsetzen werde, die Beziehungen zwischen unseren Ländern noch enger zu knüpfen – oder etwas in der Art. Ich überreiche dem Genossen Honecker den Umschlag meiner Königin. Danach werden Hände geschüttelt, und dann darf ich ihm meine Kollegen vorstellen. Nun lädt der Vorsitzende mich zu einem Gespräch im engsten Kreis in sein Arbeitszimmer ein. Ein riesiger, spiegelglatter, leerer Schreibtisch, unbequeme Sitzgelegenheiten, auf denen wir Platz nehmen. Der Staatssekretär des Außenministeriums darf bei unserem Gespräch anwesend sein, doch meine Freunde müssen draußen warten.

„Sie sprechen Deutsch, habe ich gehört“, sagt Honecker, „also brauchen wir keinen Dolmetscher.“ Ich erzähle ihm wohlweislich nicht, dass ich mir als Vorbereitung auf meine Stationierung meine alten Deutschbücher noch einmal gründlich vorgenommen habe. Wir tauschen die üblichen Höflichkeiten aus, doch dann zieht Honecker auf einmal ein Büchlein aus seiner Innentasche. Ich darf es mir ansehen. Ein niederländischer Pass aus der Vorkriegszeit! Ausgestellt auf einen holländischen Namen, doch unverkennbar mit seinem jugendlichen Foto versehen! Eine perfekte Fälschung, sagt er. Angefertigt von holländischen Genossen, als er in den Dreißigerjahren vor der Gestapo fliehen musste und eine Weile in den Niederlanden untergeschlüpft war. Er war unter anderem in Scheveningen gewesen (was er gar nicht mal so schlecht aussprach) und konnte sich auch an die Amsterdamer Kalverstraat noch gut erinnern.

Nach dieser Enthüllung persönlicher Art schnell wieder zurück zur Aktualität. Den Cruise Missiles. Warum verhält sich die Nato der DDR und ihren Verbündeten gegenüber so aggressiv, fragt er. Wir wollen doch alle nur Frieden, oder? Wie lange bleibt die Mauer noch stehen, frage ich daraufhin. Dies ist das erste meiner vielen Gespräche mit führenden DDR-Politikern. Sie hatten alle denselben Tenor. Ausgeleierte Grammofonplatten, die wir uns gegenseitig vorspielten. Ein permanenter Dialog für Taube.

Nach einer halben Stunde, auf die Sekunde genau, spricht Genosse Honecker höfliche Grüße an Ihre Majestät die Königin aus, und ich kann mich verabschieden. Die Ehrenwache ist bereits abgetreten, und mit dem Supermercedes – dem Symbol des degenerierten westdeutschen Kapitalismus – gleiten wir zurück zu meinem Domizil im Bezirk Pankow, wo der Protokollchef und ich ein Glas Champagner auf den guten Verlauf trinken.

Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen

F. Springer, 1932 in Batavia geboren, ist das Pseudonym eines niederländischen Diplomaten, der bis heute den Beruf des Botschafters mit dem des Schriftstellers verbindet. Von 1985 bis 1989 war er Botschafter seines Landes in der DDR.

DAS STUDIO

Kastalia nannte der

niederländische Autor und Kurator Jurriaan Benschop ein Projektstudio an der Holzmarktstraße, das ihm im

zweiten Halbjahr 2004 als Berlin-Stipendium zur Verfügung stand.

DAS BUCH

Hier organisierte er

gemeinsam mit acht

in Berlin lebenden

niederländischen

Künstlern eine „Work-

in-Progress“- Ausstellung . Sie fand in einem Sammelband ihren

Niederschlag ( Atelier Berlin , hrg. von Jurriaan Benschop, Amsterdam 2005, 22,50 €, zu bestellen über www.kastalia.org).

DER TEXT

Aus diesem Band stammen unser Bild und der Text „Honeckers Paradies. Marginalien 1985–1989“ des Diplomaten F. Springer , den wir hier in Ausschnitten abdrucken. Das Buch wird am 23. Juli vorgestellt (Holzmarktstr. 15–18, S-Bahn-Bogen 53, 17 Uhr).

F. Springer

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