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Kultur: Grundfarben und Grundsätze

Das Münchner Lenbachhaus präsentiert die Kunst der holländischen Gruppe de Stijl

Edel sieht der Umschlag schon aus, aber so etwas Unpraktisches hätte sich die Stijl-Gruppe für einen zum Blättern und Nachschlagen bestimmten Katalog gewiss nicht einfallen lassen. Mit blendend weißem Leinen ist der Pappband bezogen, den das Münchner Lenbachhaus als Katalog seiner Sommerausstellung „Mondrian und de Stijl“ anbietet. Da lässt man, aus Sorge um ein unbeflecktes Buch, die Informationsvertiefung während des Besuchs lieber bleiben.

Ungut! Denn was im Kunstbau zu sehen ist, diesem grandiosen Restraum oberhalb des U-Bahnhofs Königsplatz, den das Lenbachhaus seit vielen Jahren bespielt und derzeit, während des Komplettumbaus des Stammhauses, sogar als einzige Ausstellungsfläche nutzt, bedarf der schriftlichen Ergänzung.

Schließlich handelt es sich bei der niederländischen Gruppe de Stijl, die 1917 und damit in der schlimmsten Zeit des Ersten Weltkriegs im glücklicherweise neutralen Holland begründet wurde, um eine Welterneuerungsbewegung, die mit Arbeiten der Malerei, der Objektgestaltung, aber auch mit einer gewichtigen Zeitschrift gleichen Namens bekannt wurde. Theo van Doesburg, Organisator von Gruppe und Zeitschrift gleichermaßen, propagierte eine „Gemeinschaftskunst“ von Künstlern und Architekten und – das Wort war noch nicht gebräuchlich – Gestaltern. Er wollte die breite Bevölkerung erreichen und zielte auf die Neuordnung der Welt.

Damit stand die Stijl- Gruppe, als deren bedeutendstes Mitglied sich der Maler Piet Mondrian herausstellte, nicht allein. Das Bauhaus kommt einem sofort in den Sinn, beinahe zeitgleich entstanden, allerdings zumindest anfangs noch bei Weitem nicht von jenem Sendungsbewusstsein durchdrungen, das die puritanischtheosophisch geprägten Holländer erfüllte. In der Tat versuchte van Doesburg in den frühen zwanziger Jahren, das in Weimar ansässige Ur-Bauhaus zu missionieren und hielt viel besuchte Vorträge. Die radikale Wandlung des Bauhauses hin zu Design und Alltagspraxis ist ohne de Stijl nicht zu denken.

In München sind die besten Bestände ausgebreitet, die zu de Stijl überhaupt zu haben sind: die des Stadtmuseums Den Haag. Und während die expressionistische Malerei des Blauen Reiter, die in München beheimatet ist, wegen der Baumaßnahmen am Stammhaus auf Reisen ist, andererseits das Haager Museum derzeit runderneuert wird, bot sich eine solche Komplettausleihe an.

Im Kunstbau, diesem Raumkontinuum von über 100 Metern Länge, kommt die in sich verzweigte Einheitlichkeit des Stijl allerdings weit besser zur Anschauung als im heimischen, in viele kleinformatige Säle aufgeteilten Haager Museumsbau – dem 1935 eröffneten Spätwerk des berühmten Henrik Berlage, auf den sich in den Niederlanden jedwede Reformbewegung des 20. Jahrhunderts berufen hat. Parallel kann der Besucher den Weg zur vollständigen Abstraktion verfolgen, den Mondrian geradezu schulbuchmäßig absolviert hat, vom naturalistisch angehauchten Baum mit seinen Ästen über ein Liniengerippe bis zum bloßen Zeichensystem. Daneben ist die Produktwerbung des hierzulande wenig bekannten Bart van der Leck ausgebreitet, der mit Reklame die Kunst ins Leben hinauszutragen suchte. Getreu dem Satz aus dem „Manifest“ der Stijl-Gruppe von 1918: „Das neue Zeitbewusstsein ist bereit, sich in allem, auch im äußerlichen Leben, zu realisieren.“

Auf einem Podest angeordnet stehen die Ikonen der Objektgestaltung, die Stühle oder, besser gesagt, getischlerten Manifeste von Gerrit Rietveld und die eher am Alltagsgebrauch orientierten Möbel von J. J. P. Oud. Rietveld entwarf den berühmten „Rot-Blauen-Stuhl“ aus farbigen Flächen, die zwischen schmale Pfosten eingespannt sind. Wäre das Sitzmöbel derart unbequem, wie es aussieht, es würde nicht seit vielen Jahren für Design-Liebhaber nachgebaut. Ouds hellblaue Stahlrohrstühle hingegen sollten die „Wohnung für das Existenzminimum“ bereichern, mit der sich Oud in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung von 1927 vorstellte. Andächtig sammeln sich die Besucher des kirchenschiffgroßen Kunstbaus um diese Plattform, auf der die Möbel frei und dennoch unantastbar thronen.

Genau das ist die Spannung, die der Stijl-Ästhetik eigen ist: zwischen Alltagsgebrauch und Verkündigung. Die Architektur findet in München im Oberstübchen des Kunstbaus Platz, einem zylindrischen Einbau, der den Entwurfszeichnungen gedämpfte Beleuchtung ermöglicht. Häuser im herkömmlichen Sinne finden sich da nicht, sondern Konstruktionen aus Ebenen und Wänden, die einander stets in rechten Winkeln begegnen.

Mondrian ging mehr und mehr eigene Wege, die Menschheitsbeglückung war seine Sache nicht. Er ging nach Paris und vertrat im Reigen der dort wetteifernden Stile eben den seinen – vollständig gegenstandslos, streng flächig und reduziert auf die Grundfarben Rot, Gelb und Blau. In seinem klösterlich kleinen Pariser Atelier entwarf Mondrian seine asymmetrischen und zugleich wunderbar ausgewogenen Kompositionen.

Die Stijl-Bewegung endet nicht, wie das von den Nazis bedrängte und 1933 zersprengte Bauhaus, zu einem benennbaren Zeitpunkt, sondern verläuft sich, verliert an Schwung und Interesse. Die Gründungsmitglieder verlassen mehrheitlich bereits 1922 die Gruppe, andere kommen hinzu. Der ebenso kreative wie unstete, für die Stijl-Bewegung jedoch unentbehrliche van Doesburg unternimmt erst Ausflüge in den europaweit grassierenden Dadaismus, dann bricht er 1924/25 mit Mondrian über Fragen des rechten künstlerischen Glaubens.

Mondrian, der grundsatztreue Purist, gestattet sich ausschließlich die Grundfarben und den rechten Winkel, er verabscheut Diagonalen, die van Doesburg hingegen wegen ihrer „dynamischen Aspekte“ bevorzugt. Dann muss 1928 die Zeitschrift „de Stijl“ ihr Erscheinen einstellen. Schließlich stirbt der schwerkranke van Doesburg – so der Katalog reichlich herzlos – „1931 als eine ,Ein-Mann-Künstlergruppe’ in Davos“.

Ja, der Katalog. Das Beste an ihm sind die Künstlerbiografien mit den jeweiligen Werkgruppen, denn etliche kaum bekannte Künstler sind darunter, Randfiguren, die im Kontext des Stijl kurz aufleuchten und dann wieder verlöschen. Die Aufsätze im Buch sind weniger geeignet, meist zu fachspeziell, zumal wenn man im Auge behält, dass dies „die erste umfassende Museumspräsentation in Deutschland“ ist, wie das Lenbachhaus stolz verkündet.

Mag dies so sein. Jedenfalls hat der rege Besucherzuspruch bewirkt, dass die Ausstellung nunmehr bis Anfang September verlängert wurde, und für alle diejenigen, die nicht Mondrian in den Haag, Rietveld hingegen in Utrecht und J. J. P. Oud allein in seinen Rotterdamer Sozialwohnungsbauten aufsuchen können, ist diese Münchner Überblicksausstellung ein lohnendes Erlebnis.

München, Kunstbau am Königsplatz, bis 4. September. Katalog 32 €.

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